mixed Text (Auswahlen):
Corazón 1995, WP 8 1994, Radical Ohio 1993, Der tschechische Kulturattaché ist tot 1993, Deutschländerwürstchen 1993.

...> Texte & Gespräche


Corazón - Sag' mir, wo Du stehst

wir schreiben das jahr 1967. während lennon/mccartney nach kurzem drogenrausch sich entschließen, doch lieber königs/innenshäuser zu beschallen, gilt auf der besseren hälfte der welt nach wie vor jede note der arbeiterin und dem arbeiter. hartmut könig textet für den berliner oktober-club klasse kampfhymnen und findet im musiker thomas natschinsky die congeniale andere hälfte eines entstehenden male couples, das herangeht, die sozialistische beat welt vom kopf auf die füsse zu stellen.

punkt. mantel der geschichte. {.}

22 jahre später ist das paradies auf erden zum wühltischangebot heruntergewirtschaftet und wechselt für eine DM 99 den besitzer. die zeiten werden finster, böse menschen haben plötzlich doch lieder. aus dem realexistierenden sozialismus wurde ein schwarzrotgoldener witz. ganz einig deutschland? nein. ein kleines aufrechtes häuflein kämpft weiterhin für das gute. gräbt längst liberalistisch ausgetrocknete und kommutaristisch zugeschüttete flußbeete einer einst blühenden gegenkultur auf und füllt sie mit neuem leben. sich in eine geschichte einschreiben, so seine eigene geschichte schreiben und geschichte weiterschreiben.

als pop aus düsseldorf underground, gegenkultur und dissidenz mit dem erreichen von massen verbinden konnte: atatak, das büro, rondo, der plan, andreas dorau, daf, krups, die fehlfarben. - massen erreichen, denn nichts ist einfacher als für seinen kleinen immer begeisterten indiestammtisch zu spielen. auferstanden aus ruinen. da half auch pet shop boys hören. und denken. und das wissen nicht nur die sparks brüder. two is a company. sich gegenseitig überzeugen, das richtige tun, dann kann man es mit jeder welt aufnehmen.

wenn agitprop selbst als electro-pop - düsseldorfer nach britischer schule - mit rede und gegenrede ironisiert, um den text vom allzu schweren, nur noch zeitgeschichtlich lesbaren pathos zu befreien, so den inhalt hinüberretten und damit gleichzeitg eine schöne wg- kaffee-kränzchen-szene, hippie wie wave wie postmodern, zu inszenieren, weiter weiter weiterlebt, kann eigentlich nichts passieren. da fällt der rechte kanal aus. egal. links heißt vorwärts. wir bleiben dran und stimmen in den chor der kontextualitäten, vielstimmiger als blumfeld sich das auf ihrem letzten platten cover erträumten, ein: "weiter, weiter, weiter."

das stück heißt: "sag mir, wo du stehst", die gruppe: corazón.

kleine Ansprache für Corazón, Münchener Kunstverein 10 1995

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WP 8

Purple Prose, F (mit Anke & Birger) 1994

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Radical Ohio

(lost??? ... to come.)

geschrieben für Taz, unveröffentlicht. 1993

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Der tschechische Kulturattaché ist tot

Terz, D 12 1993

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Deutschländerwürstchen

Wir und unser Publikum sind "Fünfprozenter", ein Begriff aus der Black Panther Zeit, der die Tatsache bezeichnet,
daß 85 Prozent der Menschen nichts wissen, 10 Prozent zwar wissen, aber ihr Wissen zur Herrschaft missbrauchen,
und 5 Prozent wissen und das Richtige tun. Do the right thing.

Plötzlich begegneten uns drei echte Neger. Wir starrten einander ungläubig schmunzelnd an, ehe wir weitergingen. Sie waren drei Neger, wir waren drei Neger. Wir trugen Masken, aber eigentlich ist auch das Äussere jedes Menschen eine Maske, die nichts über sein inneres Wesen aussagt. Wir waren den drei Burschen einen Moment so nahe, dass ich unter meiner Maske weinen musste. Es waren die Tränen eines Deutschen, der im Schatten der Vergangenheit, des Dritten Reiches, aufgewachsen war. Ich werde nie verstehen, wie man Menschen wegen ihrer Hautfarbe hassen kann. Vielleicht sollten alle Menschen einmal LSD probieren.

 
Tödliche Abfahrt St. Moritz

Moritz Reichelt hat ein Buch geschrieben: Moritz R(R) - DER PLAN Glanz und Elend der Neuen Deutschen Welle - Die Geschichte einer deutschen Band (Verlag Martin Schmitz). Nun ist Rrr ja leidlich bekannt: in der heren Kunstwelt verzweifelt um Anerkennung buhlend (auch ein Fall für Theweleit: die Rolle, die Frauen bei doch zustande gekommenen Ausstellungen spielen dürfen), als Briefmarkenillustrator für Peter Glaser's Kolumnen in TEMPO, als beleidigter Leserbrief-an-die-Spex-Schreiber, oder als zigarrenschmauchender Macho im Herrenclub.

Jetzt als Buchautor also: Die Geschichte einer deutschen Band - und wie deutsch, darüber gibt er gerne und ausführlichst Auskunft ( - bei einer Lesung Anfang November im WP 8 betonte er aber, daß dies seine Version sei, und diese auch differiere von der Version seiner (ehemaligen?) DER PLAN Mitstreiter Dahlke und Fenstermacher).

Wie wichtig DER PLAN und vorallem auch das Label ATA TAK seit Anfang der Achtziger für die Musik-Szene (nicht nur der Bundesrepublik) war (und auch immer wieder ist: siehe OVAL - CD) dürfte bekannt sein. Schade, daß ausgerechnet Reichelt meint, diese Geschichte aufarbeiten zu müssen. Das Jahr 1990 stand ganz unter dem Eindruck der Wiedervereinigung. Für mich war ein Wunsch Wirklichkeit geworden. Nach meiner Rede auf dem Kunstkongress in Berlin 1987 zur europäischen Einheit und nach der kleinen K.u.K.-PLAN-Demo in Wien war das Unvorstellbare geschehen.(...) Unsere politischen Vorstellungen sind jetzt verwirklicht, bzw. werden verwirklicht. Was immer das heissen mag. Im Buch jedenfalls folgen 85% Scheiße - abwechselnd revanchistisch und frauenverachtend.

Beginnen wir mit ersterem: Ein Auftritt in Berlin ist eine Premiere zur 750-Jahr-Feier in Deutschlands zukünftiger Hauptstadt. Ein ATA TAK-Slogan hieß: Wir werden nicht ruhen, bis das deutsche Volk Stil, Kultur und Selbstbewusstsein wiedererlangt hat. Marschieren wir weiter im Text: Im Zuge unserer Tournee durch die Länder der ehemaligen K.u.K.-Monarchie veranstalteten wir 1984 mit befreundeten Künstlern aus Ungarn und Österreich eine Demonstration gegen den Eisernen Vorhang und für die Einheit der mitteleuropäischen Kultur. Zwei Fernsehsendungen, die Reichelt konzipierte, sollten "K.u.K. Revisited" heissen und meiner Liebe zu alten österreichisch-ungarisch-deutschen Verbindungen Ausdruck verleihen. Ein Auftritt in Moers: Ich, also Uncle Sam, hatte einen Riesenkopf aus Pappe mit Amerikahut, den Walküre Susi mit einem goldenen Schwert abschlagen sollte, nachdem ich sie mit einer Geldpeitsche bedroht haben würde. Einfacher war's in der Tschechoslowakei, denn: Hier zählten noch klare Zeichen (...) Die Symbole wurden eins nach dem anderen über die Bühne getragen. Bei jedem reagierte das Publikum im Schutz der Dunkelheit heftig. EIn Herz: donnernder Applaus. Hammer und Sichel: Gellendes Pfeifkonzert. Ein Dollarzeichen: Ohrenbetäubender Jubel. Und für die jüngeren Semester gibt's Nachhilfe in ERDKUNDE: Wir verliessen den tristen Ort (...) Richtung Koschice, vormals Kaschau.

Auch in HUMAN-BIOLOGIE hatte Reichelt gut aufgepasst: Gender-phänomenologisch war Punk ein Aufbegehren männlicher Jugendlicher gegen das weibliche Element, das die Subkultur der siebziger Jahre mehr und mehr dominiert hatte; (...) gegen die repressive neue Mütterlichkeit der WG-Gesellschaft. (...) Nach chtonischen Erdfarben und Menstruationsrot wurde Gelb die Farbe von New Wave, Farbe des Sonnenlichts, Symbol apollinischer Klarheit. Apollinisch, chtonisch, Muttergottheit, Urmutter Erde, Domäne des nichtgebärenden Mannes - der Schmuß kommt einem doch nur zu bekannt vor, wo hat er das denn abgeschrieben? Klar: (...) wie die amerikanische Psychologin Camille Paglia sagen würde. Aber auch im (Tour-)Leben steht Reichelt seinen Mann: in Tokio - Deutschland ist fern (...) ich versuche immerzu meine neue Freundin in Deutschland anzurufen, aber sie ist nicht zuhause. Das obwohl es in Deutschland mitten in der Nacht sein muss (...) Vor unserem letzten Auftritt im "Pitecan" bitten Ulli und ich halb im Spass, halb im Ernst unsere Gastgeber um "Frauen" (...) Viel passiert nicht in der Nacht. Ich bin ziemlich müde, habe keine Lust mehr, mit der Kleinen zu spielen (...) sie schnarcht fürchterlich, Entnervt bitte ich sie in ihr eigenes bezahltes Zimmer zu gehen. War also nichts. Ulli berichtet am nächsten Morgen, dass mit seinem Mädchen alles wunderbar gelafen sei, sodass ich mich noch einmal schön ärgere. Nach Besuch eines Travestie-Lokals und (...) zwei wunderbare(n) Stunden mit der Flugbegleiterin, gehts erst in den Sexshop, dann ins New Hyme: Der Name (...) gab mir Rätsel auf. Ob gegen entsprechende Bezahlung tatsächlich das zu bekommen war, was der Name zu suggerieren schien? Dreihundert Mark kostete ein regulärer Besuch, (...) gut angelegt. Später dürfen wir noch von Susanne Müllers perfektem Fahrgestell erfahren, von Paulines naivem Existenzialismus, was es heißt, von einer gutausehenden jungen Beamtin in Uniform gefilzt zu werden, daß Bettina einen Anspruch auf das Erlernen von Selbständigkeit habe undsoweiter undsoweiter.

"Hamburger, NDW-Typ, hält sich für lustig" schrieb Tilman Baumgärtel in seiner swoon-Kolummne über Hurenböcke wie Lottmann und Dorau. Vielleicht ist Reichelt deswegen nach Hamburg gezogen. Diedrichsen allerdings, der um die Ecke gewohnt hatte, wechselte nach Köln, um sich der (...) Spex zu widmen. Schade eigentlich, denn sonst hätten wir sicher schon viel früher die wahre Geschichte des PLANs erfahren und nicht nur (in der Spex:) Lügen, Intrigen und Verfälschungen. Woraus Reichelt immerhin doch was lernte, nämlich wie es normalerweise in der Nachrichtenwelt läuft: Wenn ich heute die "Tagesschau" oder "Heute" sehe, dann weiss ich, dass Information genau das ist, was die wörtliche Bedeutung suggeriert: Einformung. Eine Art Injektion, Indoktrination...

Als ich das Buch zur Hälfte gelesen hatte, dachte ich, daß ich die Rezension mit dem Satz breaken könnte, Reichelt sei immer dann erträglich, wenn er sich nicht am Reflektieren versuche, sondern munter aus dem ATA TAK-Nähkästchen plaudere oder die Ratinger Straße mit namedropping neu pflastere. Stimmt aber leider nicht, denn da geht der Spaß (oder wie Reichelt schreibt: Spass) erst richtig los. Zum Beispiel in Disneyland: Dann öffneten sich alle Türen automatisch im selben Moment, und die Menschen strömten in das Innere. Der Gedanke an eine Gaskammer schoss mir durch den Kopf. Waren die Opfer nicht auch ahnungslos in die Vernichtungsräume gegangen, im Glauben, eine Dusche zu betreten? Die Türen schlossen sich hinter uns. Es gab kein Entkommen mehr. Zum Beispiel mit einem guten Freund: Boyd (...) zitiert in seinen Schriften Adolf Hitler. Ich kann ihm aber nicht böse sein, da er erstens sehr höflich, zweitens ein Amerikaner und kein Rassist und drittens sehr humorvoll ist. Einen seiner satanischen Auftritte stellte er unter das heute eher lustige Motto der spanischen Faschisten "Long Live Death". Ewiges Kind. (1000 jähriges zumindest). Zum Beispiel mit dem Mann, der DER PLAN nach Japan gebracht hatte: Und nun steht Hideto vor uns. Er trägt einen eleganten schwarzen Kamfanzug. Auf der Gürtelschnalle so etwas wie ein Hakenkreuz."Heil Hitler", ruft er und hebt den rechten Arm zum deutschen Gruß. Das ist natürlich sehr lustig. Gleich kommt fröhliche Stimmung auf. Auch Reichelt's Hamburger Wohnung wird nicht einfach renoviert, sondern...kostete fast übermenschliche Anstrengungen. Als wir schliesslich fertig waren, kamen wir uns vor wie Mussolini nach der Trockenlegung der pontischen Sümpfe. Die Mühen hatten sich gelohnt.

Vor seiner Lesung im WP 8 betonte Reichelt, daß er nicht Helge Schneider sei, und daß er keine Witze zu erzählen habe. Und im Buch selbst: das gilt natürlich nicht für dieses durch und durch faktische Buch. Und dabei hätte es seine (damalige) Freundin Ute Meta Bauer doch in der Hand gehabt: (auf der Rückfahrt von Bratislava) Ich konnte gerade noch eines meiner beiden Augen geöffnet halten und liess mir von Ute ständig auf den Nacken schlagen. Auf den Hinterkopf, Ute, auf den Hinterkopf schlagen!!!

Terz, D 11 1993

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