Gespräche 2002 - 2004, für das Magazin Alert. Alle Ausgaben können bestellt werden bei: Max Dax
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Peter Hein, Gespräch 07 2002 Es ist das Comeback des Jahres. Mit dem Sänger der legendären Düsseldorfer Band Fehlfarben sprach Andreas Reihse, Mitglied der Gruppe Kreidler, über psychedelisches Bier, Autobahnen, Fotokopierer, Finnland und Theaterkantinen. Du hast all die Jahre täglich bei Xerox gearbeitet. Ja. Außer wenn ich krank war. Den härtesten Punkrock, alles bei Xerox gemacht. Und wenn Du auf Tour warst - wie jetzt bald wieder mit den Fehlfarben, oder all die Jahre hindurch mit Deiner anderen Band, Family Five? Na ja, wenn wir touren, habe ich Urlaub. Da kann man dann nicht mehr krank machen. Aber es gab für Dich nie die Entscheidung, die Arbeit hinzuschmeißen und nur noch Musik zu machen? Die Frage hat sich für mich nie gestellt. Das war eine ganz einfache Rechnung: Miete zahlen, Essen, Schallplatten kaufen, Bücher... - das kannst du nicht von 30.000 Scheiben bezahlen, vor allem dann nicht, wenn du die mit sieben Leuten teilen musst. Das kannst du vielleicht, wenn du alleine unterwegs bist, und die Rock"n"Roll-Schuppen füllst, so wie diese ganzen jungen Typen heutzutage, die aus ihren Büchern vorlesen, dann kannst du vielleicht davon leben. Früher haben die in Buchhandlungen gelesen und waren froh, wenn da mal jemand vorbeikam. Du machst stattdessen eben nach Feierabend Musik. Wann sonst? Beziehungsweise, wann machen andere Leute Musik? Man macht Musik sowieso abends. Davon abgesehen, kann das den Leuten ja wohl egal sein, wann ich Musik mache. Na ja, vielleicht würdest Du morgens andere Musik machen als abends. Aber morgens ist total scheiße, oder? Ich meinte auch mehr als Haltung. Ansonsten gilt das für Dich als Sänger wahrscheinlich schon. Morgens bist du ein einziger Schleimklumpen. Du stehst dann da und kannst nicht singen. Das geht einfach nicht. Neulich hatten wir eine Bläserprobe für Family Five, die haben immer so wenig Zeit, die Bläser, also trafen wir uns dann am Sonntag Morgen um halb zehn. Hölle. Ekelhaft. Dann kann ich tagsüber auch arbeiten gehen. Und irgendwann müssen mir ja auch die Texte einfallen. Die schreibe ich auch tagsüber. Was machst Du denn sonst noch im Büro? Die korrekte Stellenbeschreibung kann ich gar nicht zitieren. Die Funktionsbezeichnung ist im Moment sehr abstrus: Ich bin Business System Consultant im Center of Competence IT. Also EDV. Ja, früher hieß das EDV. Aber eigentlich habe ich mit reiner EDV nicht so viel am Hut. Hardware, System, Programmierung - all das mache ich nicht, das kann ich nicht. Ich betreue laufende Systeme, im Unternehmen, interne Sachen, Logistik, beraten, gucken, wenn irgendwo irgendwelche Parameter nicht stimmen und so. Das hast Du gelernt? Ich habe eine kaufmännische, keine EDV-Ausbildung. Ich habe mich mit dem Thema dann aber beschäftigt. Also am Mainframe so Dateien befummeln - das hat mir damals schon Spaß gemacht. Damals gabs ja schon PCs - als es de facto noch keine gab. Kleine Kisten mit Bildschirm und riesige Disketten, so groß wie 10-Inch-Schallplatten. Das war Anfang der Achtziger oder noch früher. Und Rank Xerox hatte diese Entwicklung völlig verbummelt. Und andere machen dann Milliarden damit. Das war das Ende der Bänder. Bänder, die gab es im Großrechenzentrum. Da war ich einmal drin. Das ist Ewigkeiten her. Das sah schon klasse aus. Da gab es riesige Bandmaschinen, die sahen aus wie riesige Waschmaschinen, und Plattenstapel - genau wie in Science-Fiction-Filmen, nur dass da weniger Lämpchen rumleuchteten. So etwas gibt es natürlich schon lange nicht mehr. Das wurde alles outgesourct und verschwand dann in Holland oder so. Einmal war ich am Wochenende alleine in diesem Raum. Da gehen dann feuersichere Türen automatisch zu, und dann ist da das Licht ausgefallen. Ich habe nur noch das Rascheln von diesen Maschinen gehört. Unangenehm. Unheimlich. Da findet dich kein Schwein. Da schreibst Du dann Deine Texte? Na ja, manchmal. Oder in der Straßenbahn? Das geht nicht so gut. Keine Unterlage. Manchmal auf Bierdeckeln. Aber die Zeiten, in denen ein Song dreißig Sekunden lang war, die sind ja vorbei. Die Stücke von Mittagspause sind damals fast alle auf Bierdeckeln entstanden. Auf Düssel-Alt-Deckeln. Auf Pils-Bierdeckel passt ja nichts drauf. Oder auf diese mit Werbung vollgedruckten Deckel...! Die Du nur anklicken brauchst, um direkt online zu gehen... Ja, grauenhaft. Aber Altbier-Deckel - das sind 1A-Schreibunterlagen! Jetzt bei den neuen Fehlfarben-Stücken ist mir im Büro nichts eingefallen. Da ist im Moment so wenig Stress für mich da. Also Du wirst bald outgesourct werden? Das kann nicht mehr lange dauern. Ich habe schon so viele Outsourcings erlebt. Und Gesundschrumpfungen... Das passiert ohnehin alle zwei Jahre. Alle zwei Jahre fliegt das Management komplett raus. Und natürlich muss dann als erstes alles ganz anders werden, wir müssen endlich profitabel werden, dann wird die Schere angesetzt und - Zack! - abgeschnitten. Was stellt Xerox denn nun eigentlich alles her? Fotokopierer...? Ja, das ist das, was man weiß, ja. Waffensysteme...? Nee, Rüstung, nicht, dass ich davon wüsste. Aber die haben die Computer Mouse entwickelt und so etwas wie das Windows-System. Aber Xerox weiß dann nicht, was sie damit anfangen sollen - und andere machen die Milliarden. Jedenfalls, bei so einem Managementwechsel wollten sie dann auch einen modernen Wahlspruch haben. The Care Company? Genau so etwas in der Richtung. Und Rank Xerox war daraufhin "The Document Company". Denn jeder denkt bei Xerox nur an Kopierer. Und "The Document Company" soll einfach heißen, dass es für alles, was man in seinem Berufs- und Geschäftsleben archivieren und dokumentieren muss - von der Wiege bis zur Bahre - ein Produkt von Xerox gibt. Hat natürlich Millionen für irgendwelche Werbefritzen, Imagekampagnen, PR-Agenturen und Analysten gekostet, um der breiten öffentlichkeit nahezubringen, dass Xerox diese Produktpalette hat. Aber frag" mal jemanden auf der Straße - wenn einer was weiß, dann sagt er: Ach ja, genau, das sind doch diese Kopierer. Die hätten sich also alles sparen können. Unergründlich sind die Wege des Kapitals. Aber sie fließen immer an unsereins vorbei. Ich bin nur froh, dass ich meine Fehlfarben-Tantiemen nie in Xerox-Aktien angelegt habe. Dann lieber gleich Telekom. Diese Millionen-Abfindung von Ron Sommer! Diese Manager sollten alle in den Knast wandern und anstelle der Abfindungen könnte man tausend Entlassenen ein paar Monate die Gehälter weiterzahlen, damit die sich bis zu ihrem nächsten Job ausruhen können. Wow. Und - nervöse neue Manager jetzt kurz vorm 11. September? Ein bisschen Panik war natürlich schon spürbar - aber nur von drüben aus. Hier merkt man ja nichts davon. Immer wenn was ist, kriegen die Amerikaner ja ihre Paranoia. Und denken, dass alle bösen Russen, Araber oder was eben gerade akut ist, sich jetzt auf jedes amerikanische Unternehmen stürzen. Selbst in Düsseldorf. Selbst bei einer Firma, die den Leuten nicht einmal klar machen kann, was sie eigentlich produziert. Wer will denen denn etwas tun? Also: Manchmal habe ich das Gefühl, das ist denen peinlich, dass sie Kopierer herstellen. Die würden viel lieber etwas Schickes machen, zum Beispiel... den schäbigen neuen Mini... (fährt vorbei) Der ist wirklich etwas fett geworden. Der wirkt so groß wie ein Golf... In der "Gala" oder "Hello" habe ich Paul Weller gesehen, wie er in einen Mini einsteigt... Paul Weller fährt Mini? Na ja, zumindest für das Foto ist er in einen eingestiegen. Für Fotos in irgendetwas einsteigen, das geht. Der Vater meiner Freundin hatte sich in jungen Jahren gerne neben fremden Mercedes Benzen fotografieren lassen. Auch gut. (lach, lach lach). (lacht, lach, lach). (lach, lach, lach). Wie geht das eigentlich, in verschiedenen Bands und Projekten gleichzeitig zu singen. Wie schreibst Du, welche Texte nimmst Du für Fehlfarben, welche für Family Five...? Das trenne ich überhaupt nicht. Es kommt wie es kommt? Wenn Stücke gebraucht werden, dann werden die gemacht. Ich habe früher auch Mittagspause Texte für Fehlfarben benutzt, bei Family Five dann Fehlfarben Texte und dann auch wieder Family Five Texte für die Fehlfarben. Auf dem neuen Album ist eigentlich alles frisch. Und, wie gesagt, die Texte sind auch nicht im Büro entstanden, sondern direkt im Studio oder auf dem Weg ins Studio. Hinter"m Düsseldorfer Bahnhof habe ich mich in so einer obskuren Ostblock-Kneipe mit psychedelischem Bier vollgehauen. Die haben so komisches Bier, da trinkst du zwei von, und dann siehst du Sachen... Sehr seltsam... Die Kneipe sieht aus wie eine abgewrackte Eisdiele, ganz dubios. Voll mit Tschechen oder Polen oder so, die alle Maschinenbau studieren. Also gar nicht puff- oder zuhältermässig. Ich weiß auch gerade nicht, wie das Bier heißt. Kannte ich auch vorher nicht. Aber ich hatte immer das Gefühl, da wäre was drin im Bier. Das ging dann so: Scheisse, Mensch, schon fünf Uhr, die sind schon alle im Studio...! Noch schnell in die Kneipe, zwei Stücke schreiben! Ja: Wir müssen noch wat... wat hammer denn? Und dann weiß ich auch nie, wie die Stücke gehen, wie die Musik ist, die kann ich mir nicht merken, wenn die gerade im Entstehen ist. Deswegen sehen die Texte auch, wenn du sie anschaust, immer gleich aus, also die meisten Texte zumindest. Das sind immer irgendwie Vierzeiler, manchmal mit irgendwelchen Innenunterbrechungen. Einfach Vier-Vier-Vier, und dann passt das. (lach, lach lach). Und wie schreibst Du einen Text mit jemandem zusammen? Jeder schreibt irgendwas und dann fummelt man das zusammen. Also mit dem Thomas Schwebel habe ich ja meist geschrieben. Der hat jetzt hier bei dem neuen Album aber nicht wirklich viel gemacht. "Auto trag mich in die Ferne..."! Also, wenn Autos drin vorkommen, dann ist das immer von Thomas. Und Du baust das dann so um, dass Du das auch singen kannst? Genau, da drehe ich dann etwas herum, damit der Inhalt auch besser die Kurve kriegt, weil es vielleicht zuvor ein bisschen prall formuliert war. Also jetzt keine Frage zum Buch von Jürgen Teipel, "Verschwende deine Jugend", ... Fragen zum Buch beantworte ich auch nicht. Fragen zu Family Five schon. Okay, dann so: Damals, von Fehlfarben zu Family Five hattest Du das doppelte F mitgenommen, Texte auch und die neuen Texte und die Musik wurde auch nicht aussergewöhlich anders,... Doch, doch. Das war viel rockiger, zum Teil schweinerockiger... Family Five? Also live schon. Ich habe euch eher wie späte Jam in Erinnerung, eine Hälfte des Konzerts mit Bläsern. Ja, auch. Die mussten ja was zu tun haben auf der Bühne, aber alles mit Bläsern zupatschen wollten wir auch nicht. Bei Punk-Nummern passt das nicht. Das war auch nicht der Sinn der Sache. Deswegen mussten die Bläser dann auch etwas singen, Gitarrespielen und so. Am Anfang haben die auch nur die Hälfte der Kohle gekriegt. Hast Du die Violent Femmes gesehen, nach dem zweiten Album, als die auch Bläser dabei hatten für ein paar Stücke? Da war auf der Bühne ein Tisch aufgebaut, an dem haben die bei den anderen Songs dann Karten gespielt. Ja, was macht man mit Gastmusikern? Die könnten auf der Bühne eine Kneipe aufbauen, und wenn sie gebraucht werden, kommen sie mal schnell rüber. Wie in einem Orchestergraben. Da ist ja auch immer ein Kommen und Gehen. Die sitzen dann in der Künstlerkantine bis sie wieder angepiept werden. Ich habe mal eine Tour durch Künstlerkantinen gemacht. Im Schauspielhaus Bochum war ich oft - bei den Premieren. Meine Nachbarn arbeiten da in der Dramaturgie. Den Schmidt habe ich auch in Bochum gesehen. Ein Stück von Arno Schmidt??? Nein, Harald Schmidt. Letztes Jahr in Bochum gab es diese "Godot"-Geschichte, in der er mitspielte. Hat auch Wellen geschlagen. Ich bin ja, was Theater angeht, ein völliger Ignorant. Wenn jetzt nicht meine Nachbarn wären, nein, die Theaterwelt täte mich auch nicht interessieren, hat mich auch noch nie interessiert. Ich bin eben so mitgegangen. Ich dachte auch immer, dass man da saufen können müsste. Freibier - kennen die aber nicht. Die können nicht feiern in Bochum. Da musstest du dir dein Bier kaufen. Furchtbar. Selbst in der Künstlerkantine. In der Düsseldorfer Oper war ich auch einmal, als Statist. Da konntest du hinterher eine Stunde frei saufen und essen. So lob" ich mir das! Also wenn die schon Subventionen verballern, dann doch wenigstens so, dass man auch etwas davon hat, oder? Magst Du eigentlich Musik? Na ja, manchmal. Manchmal schon. Im Moment höre ich nicht viel, ich komme zu nichts. Ich gehe aber so alle zwei, drei Wochen mit dem Ziel aus dem Haus, für 100 öre Scheiben zu kaufen. Und dann gehe ich zu 2001 und mit "nem Stapel wieder nach Hause. Wie, 2001? Was kauft Du denn da? Alles, was man so braucht. Woanders braucht man eigentlich gar nicht mehr einzukaufen. Die verkaufen alle nur so neues Zeugs. Kenn" ich nicht. Brauch" ich nicht. Will ich nicht. Und ist außerdem zu teuer. Was bieten die denn an? Jazz, Klassik...? Ja. Massig sowas. Und dann kaufen die immer ganze Auflagen, wo sie meinen, das könnte gehen. Und die sind dann ganz billig. Die berühmte 12CD-Box von The Kinks, die man sich sonst nie kaufen würde? Ja, ja, Sechziger, Siebziger, alles, was ich mir nie gekauft habe, für 6,99 oder 7,99 Euro. Alle Beach Boys, immer zwei Alben auf einer CD plus fünf Bonustracks - und ich habe mir damals nie Beach-Boys-Platten kaufen können, die waren schon früher Collector"s Stuff. Und Mitte der Siebziger habe ich damals natürlich auch so einige Platten verpasst, da merke ich erst jetzt, was für tolle Sachen da mitunter dabei waren. Oder eben The Kinks. Kinks habe ich nie gekauft. Die mochte ich schon irgendwie, aber das waren auch immer so Platten, von denen man wusste, dass sie einfach die ganze Zeit über präsent bleiben würden. Da gab"s dann immer eine wichtigere. Genau auf diese Weise habe ich viele Sachen verpasst. Immer im Laden gesehen, mir gesagt: kaufste dann nächste Woche... Und auf einmal war sie weg. Wenn da wieder mal eine Firma übernommen wird, dann wird da alles ausgemustert, was nicht so gut verkauft. Kennst du die Geschichte vom großen EMI-Aufwasch letztes Jahr? Der neue Europa-Chef der EMI, vermutlich ein Ami, ging durch die Liste der Künstler und sagte dann: Wie Finnland? 47 Künstler aus Finnland? Dann haben die alle Verträge mit ihren Finnen gekündigt. Das muss eigentlich ein Ami sein. Genau, Finnland, wie buchstabiert man das eigentlich? Die waren doch auch mal in der Sowjetunion. Finnland? Ja, die waren doch bis zur Revolution unter Zarenherrschaft, 1917 autonomes Mitglied in der Föderation und dann für ein halbes Jahr etwa dabei. Für die Länder zwischen dem Kaspischem und dem Schwarzen Meer gab es hingegen kein Entrinnen. Das waren doch auch nur Provinzen während des Zarenreiches. Na ja, erobert - davor waren es selbständige Königreiche. Okay. Nutzloses Hintergrundwissen. Professionelles Halbwissen. Man kann ja nicht alles wissen. Alles andere sollen alle anderen wissen. Man muss ja auch viel glauben. Für alles andere gibt es ja die Document Company. Memory Sticks, Pocket USB Drive, 1,4 MB Disketten. Viele der neuen Texte auf dem neuen Fehlfarben-Album "Knietief im Dispo" sind ja etwas resignativ. "Club der schönen Mütter" formuliert als einziges eine Utopie. Ich dachte zuerst, das kippt noch ins Zynische. Nee, das ist lustig, so ein bisschen. So einen Song konntest Du auch erst heutzutage schreiben, oder? Was Du schilderst, konnte man früher doch nicht beobachten. Nee, das gab"s nicht. Aber die anderen Stücke sind ja auch nicht wirklich resignativ, da sind ja auch lustige Sachen drin, Witze und so. Ich meine, wenn sich jemand deswegen aufhängt, Pech gehabt, da kann ich dann auch nichts für. Man kann ja nicht immer alles erklären. Also, Du erklärst eigentlich gar nicht viel. Nee, in den Texten nicht. Ich meine ja nur, wenn jemand etwas falsch versteht. Ich liefere keine Anleitungen. Ein bisschen selber nachdenken kann ja jeder auch mal. Ausserdem: egal, ob das jetzt Mittagspause, Fehlfarben oder Family Five war - auf die Pauke hauen, ja. Aber man darf es auch nicht zu ernst nehmen. Es ist doch alles nur Rock"n"Roll. Was heißt denn jetzt "nur"? Was Musik oder vielleicht Kunst doch zumindest versuchen könnte, ist doch Wahrnehmungen zu verändern. Na ja, aber ob du jetzt eine Platte machst oder nicht, ob die jetzt jemand versteht oder nicht - das ist keine Sache auf Leben und Tod. Letztlich ist es etwas anderes, als wenn du morgens durch ein Minenfeld gehen musst, um Wasser zu holen. Das ist Ernst. Aber was wir hier so treiben - das ist letztendlich Entertainment. Magst Du Reisen? Tourneen? Es geht. Also mit dem PKW auf Tour fand ich immer gut. Wir waren mit Family Five in den letzten Jahren eigentlich auf einer Dauer-Tournee durch das deutschsprachige Europa. Wir haben jeden Monat drei, vier Mal gespielt. Busfahren mag ich dagegen nicht, das ist mir zu langsam. Was in Deutschland auch überhaupt keinen Spaß macht, das ist, die immer gleiche Autobahn mehrmals rauf und runter zu fahren. Oh ja, wenn du wirklich an jeder Raste weißt, wo das Klo verstopft ist - du kennst ja alles. Um so toller ist es, wenn du irgendwo hinkommst, wo du noch nie warst. Ich war noch nie im Saarland, nie in Trier, in Kaiserslautern - eigentlich das ganze Kanzler-Altland ist mir unbekannt. Ich meinte übrigens weniger das Reisen, sondern das irgendwo ankommen und dabei kein Tourist zu sein. Das fand ich natürlich auch immer lustig. Alle versyphten Klos dieses Landes kennenzulernen. Ich meinte: außerhalb von deutschen Autobahnraststätten. Nee, nee, ich meine die Klos in den Clubs. Zwischenzeitlich wurde es in den Clubs ja wieder schick. So wavig. Und jetzt wird es wieder syphig. Im "Gebäude 9", wo wir kürzlich unseren ersten Fehlfarben-Auftritt seit Jahren hatten - das war wie eine Zeitreise in die tiefsten Siebziger. Also die Toiletten... Oder der Backstage-Raum, der nur durch eine Pappwand von der Bühne getrennt war... Du bist gezwungen, die ganze Zeit Musik zu hören. Wir waren so schrecklich nervös, dass wir die ganze Zeit im Nebengebäude saßen. Wir hatten ja auch noch Sachen zu klären. Das nervt total, ich weiß. Du hast keine ruhige Minute mehr. Wenn wir mit Kreidler unterwegs sind, schreiben wir in die Verträge immer: "Backstage - a quiet and lockable room." Das hat auch ungefähr zweimal geklappt. Sieht gut aus, wenn so was in einem Vertrag steht. Oder: drei Bands vor dir, auf die du warten musst, bevor du auftreten kannst. Meist macht die Vorgruppe dann ja Skatepunk und spielt zwei Stunden. So kann ich nicht arbeiten. Mein letzter Lieblingsauftritt war in Hamburg, der hat sich dann plötzlich als CD-Präsentation der Vorgruppe entpuppt. Die natürlich sowieso unerträglich war und dann nicht mehr zu spielen aufgehört hat. Und dann den Laden leerspielen. Kein Schwein mehr da. Meistens passieren solche Sachen immer da, wo spätestens um elf die letzte S-Bahn geht. Und für die Scheiße bist du dann 800 Kilometer gefahren und extra pünktlich aufgestanden. überhaupt: Konzerte sind wieder viel zu lang geworden. Ich mag das auch nicht. Vierzig, fünfzig Minuten reichen doch vollkommen. Am liebsten dieses britische Prinzip, drei Bands à 33 Minuten. Und vor Mitternacht ist Schluss. Ja, das ist echt nicht schlecht. Selbst wenn ich Konzerte von Bands sehe, die ich mag. Nach einer Dreiviertelstunde denke ich immer: Jetzt ist aber gut. Komm, jetzt, lass mal. Weil: Das ist auch anstrengend. Rumstehen, Biertrinken... Ja. Oder wenn es geil ist, und du tanzt Pogo oder so was, dann ist es ja noch anstrengender. Dann bist du heilfroh, wenn die aufhören. Gehst Du pogoen? Manchmal... Hörst Du Deine eigenen Platten? Einmal - wenn die Platte aus dem Presswerk kommt, einmal Kontrollhören, das war"s. Ich habe bei meinem letzten Umzug unzählige Kartons mit eigenen Platten weggeschmissen. Wie? Warum hast Du die nicht nach Japan geschickt? Das ist schon ein paar Jahre her. Ich hatte Berge von meinen Platten, und meine Freundin meinte, was willst du diesen Scheiß mitschleppen, und ich: Das hat aber alles einmal viel Geld gekostet! Dann hatte auch noch eine Katze draufgepinkelt... Oder wenn ich in einen Laden reinkomme, in dem ein Stück von mir läuft, dann gehe ich rückwärts wieder raus. Das kann ich einfach nicht hören. Du kommst zur Tür rein, der Plattenaufleger sieht Dich und spielt "14 Tage" - und Du gehst rückwärts raus. Nee, so etwas ist natürlich super. Oder er spielt ein Stück von den Toten Hosen, weil er alles durcheinander bringt. Oder es kommt einer an und will dir die Hand schütteln, er fand deine Musik schon immer spitze, aber, wie hieß die Band noch mal? Einmal in Hamburg war es aber wirklich toll. Da sind wir spät abends auf dem Kiez in irgendeine Kneipe gegangen, und da spielte eine Band namens Der Fremde, und die spielen "Paul ist tot" als wir reinkommen. Da bin ich dann auf die Bühne gegangen und habe das gesungen. Aber dennoch: Das Buch "Verschwende deine Jugend" und die Ausstellung "Zurück zum Beton" in Düsseldorf haben für Dich doch auch eine neue Präsenz mit sich gebracht. Ja, klar, das stimmt schon. Das mit dem Buch hat mich dann doch überrascht. Den Jürgen Teipel hatte ich mal in Uel getroffen, das war vor Jahren, der hatte mich ausgefragt, drei Stunden lang. Das war okay, aber ich hatte auch nichts erwartet, auch nie wieder wirklich etwas von ihm gehört. Dass das Buch jetzt so präsent ist - läuft das Buch wirklich so gut? Ich denke schon. Meins wurde mir geklaut, ich hatte es nur zur Hälfte gelesen... Siehste, das könnte mir nicht passieren. Ich hab es durchgelesen. In einem Rutsch. Das Buch funktioniert auch so, dass du es nicht mehr aus der Hand legen möchtest, wenn du erst einmal angefangen hast zu lesen. Genau. Und dann stolperst du über deine eigenen Sätze und fragst dich: Wie, das habe ich gesagt? Das kann doch gar nicht sein...! Du meinst: Wann habe ich denn eins in die Fresse gekriegt?! Ja, ehrlich. Ich kann mich nicht erinnern. Aber wennse das denn haben wollen. Weißt Du eigentlich, wie der Teipel diese Interviews geführt hatte? Er hat immer irgendwelche Behauptungen vorgelegt. Der da hat das über dich gesagt! Jetzt sag du mal was dazu! Was ich ja auch ganz erstaunlich an dem Buch finde, ist, wie gut die Rheinländer so über die Runden gekommen sind. Das private soziale Netz funktioniert hier im Rheinland eben noch ganz gut. Die Berliner erzählen nur langweiligen Käse. Und bei den Hamburgern, da ging es ja ziemlich zur Sache. Also, das sind ja die einzigen, bei denen es auch richtig Opfer gab und Tote. Oder Managertypen, die die Plattenfirma-Karriere gemacht haben. Aber wie fandest Du denn die Ausstellung zum Buch? Die haben mich auch nach Beiträgen gefragt, Lederjacke mit Badges oder so. Ich wollte aber nichts hergeben. Und dann haben die sich auch nicht mehr bei mir gemeldet. Bei der Eröffnung habe ich dann doch einige Teile von mir da gefunden und mich darüber gewundert, wer so etwas aufhebt. Die Ausstellung war seltsam. Toll, dass sie die Filme gezeigt haben, aber die Gitarre von Jürgen Engler an der Wand zu hängen... Das hatte was von Heimatmuseum-Kitsch - und gehörte doch eher ins Hardrock-Café. Da ist schon was dran. Im übrigen hätte da die Gitarre von Franz Bielmeier hingehört, die war völlig zerbrochen, Pollock-mässig betropft und wurde nur von Klebeband zusammengehalten. Oder das Schlagzeug von Markus Oehlen: Der hatte so eine wackelige Konstruktion von einer Kirmes-Pauke auf einem Snare-Ständer. überhaupt fand ich, dass da einfach zuwenig Kunst hing. Also Büttner, die Oehlens, Kippenberger, Dokoupil, auch Dahn und so weiter... - die fehlten. Aber dass man sich die alten Fanzines vor Ort kopieren konnte, das war doch eine gute Idee, oder? Die Idee mit dem Fotokopierer, stimmt. Und natürlich nicht von Xerox. Selbst das verpennen die. 08 2003, leicht redigiert erschienen in Alert #08. ... top. Thomas Ruff, Gespräch 05 2003
In der Frühlingssonne sitzen wir auf der Holzveranda hinter Thomas Ruffs Atelier, einem ehemaligen Umspannwerk von dem Architektenteam Herzog & de Meuron umgebaut. Vor uns zieht ein Trupp von Handwerkern unverrichteter Dinge ab. Sie sollten den Keller sandstrahlen, aber ein herbeigeeilter Andreas Gursky stoppte das Unternehmen: aufgrund eines kleines Loches in der Wand ist sein benachbarter Keller in eine einzige Staubwolke gehüllt. Wir trinken Wasser und Kaffee und stellen die erste Frage. Wie sind Sie zur Fotografie gekommen? Ich war 15 und ein Freund von mir hatte sich eine Spiegelreflex-Kamera gekauft. Ich fand das so toll, daß ich dann angefangen habe, zu sparen, um mir auch eine Spiegelreflex zu kaufen. Dann habe ich da unten - ich komme ja aus dem Schwarzwald - herumfotografiert. Die meisten Bilder sind aber im Urlaub entstanden, so ab 16, gab es drei größere Touren: eine nach Norwegen und Schweden, die nächste nach Italien und Griechenland und das Jahr drauf nach Spanien und Portugal - einige von uns hatten eben schon den Führerschein. Wie kamen Sie dann dazu, sich an der Kunstakademie in Düsseldorf zu bewerben? Als ich das Abitur gemacht hab, gab es zwei Interessen. Das eine war die Astronomie, das andere die Fotografie. Ich habe mich dann für die Fotografie entschieden. Ich muß gestehen, ich habe damals nur Hobbyblätter gekannt und mich an dieser Bildwelt orientiert. Als Ausbildung gab es die Möglichkeit einer Lehre - aber die dauert 3 Jahre; das nächste wäre eine Fachhochschule, aber da muß man alles machen, was weiß ich, Industriefotografie, Stillife, Mode-Journalismus. Und ich wollte eigentlich nur schöne Fotos machen. Ich habe dann alle Kunstakademien in Deutschland angeschrieben, weil ich dachte, da müssen doch die "schönsten" Bilder entstehen. Und die Akademie in Düsseldorf war die einzige, an der es eine Fotoklasse gab, eben die Klasse von Bernd Becher. Ich suchte meine 20 schönsten Kleinbilddias heraus und schickte sie als Bewerbungsmappe an die Akademie. Und komischerweise haben sie mich genommen. Hatten Sie sich da schon mit künstlerischen Standpunkten und Fotografen auseinandergesetzt? Eigentlich weniger. Was ich mir angeschaut habe, waren Fotografien in GEO und National Geographic - ich wollte Reisefotograf werden, durch ferne Länder reisen, fremde Menschen treffen. Das haben die Bechers dann verhindert. Wußten Sie, wer Bernd und Hilla Becher sind? Nein, ich hatte keine Ahnung von Kunst. Ich hatte die letzten vier Jahre auf dem Gymnasium keinen Kunstunterricht, es gab keinen Lehrer dafür. Die Lehrerin, die wir davor hatten, Fräulein Hermann, ist nur bis zum Expressionismus gekommen. Und wenn man auf dem Land lebt, dann sieht man auch nicht soviel Kunst. In der Akademie hat man mir dann erstmal den Kopf gewaschen - ich wußte nicht mehr, was ich überhaupt fotografieren sollte. Nach einiger Zeit habe ich angefangen, in meiner Wohnung zu fotografieren und da sind die ersten beiden Interieurs entstanden. Das Waschbecken mit der komischen Tapete und meine Klappdusche mit einer seltsamen 50er-Jahre-Oberfläche. Und über diese zwei Bilder war ich ziemlich glücklich. 1977 sind Sie also nach Düsseldorf gekommen. Wie haben Sie Punk erlebt? Als ich hier ankam, hatte ich noch längere Haare. Meine Musik war die der Allman Brothers, Grateful Dead etc. Im Orientierungsbereich hatte ich Freunde mit ähnlichem Geschmack. Das hat sich aber innerhalb des ersten Jahres an der Akademie geändert - man ging in die Kneipen auf der Ratinger Straße. Anfangs war ich nur im Einhorn und in der Uel. Aber ab einen bestimmten Zeitpunkt dann eben auch im Ratinger Hof. Und irgendwann habe ich mir die Haare abgeschnitten und eine schwarze Hornbrille gekauft, die ich damals chic fand. Davor hatte ich eine runde Nickelbrille wie John Lennon ... Sie kamen also als Hippie nach Düsseldorf? Ja. Die Zeitverzögerung auf dem Land ist halt einfach da. Wie wichtig war Punk-Musik für Sie? Musikalisch habe ich nicht soviel mitgekriegt. Ich war natürlich bei sehr vielen Konzerten - aber man ist in den Ratinger Hof gegangen, weil es der Ratinger Hof war, nicht weil eine Band gespielt hat. Allerdings hatte ich vier Freunde: Ka, Shampoo , Sigi und Stoya, die hatten damals eine Punk-Band, eigentlich war es mehr eine Amateur-Band, die Punk-Musik gemacht hat, die nannten sich EKG. Stoya arbeitete damals im Plattenladen von Carmen Knoebel und hatte damit immer die aktuellen Infos, was musikalisch angesagt war. Über Stoya, der viele der neuen Platten gekauft hatte, konnte ich auch Cassetten aufnehmen, weil ich damals einfach kein Geld für Schallplatten hatte. Waren es trotzdem schöne Zeiten? Es war eine ziemlich lustige Zeit, es herrschte eine Art von Aufbruchstimmung. Stoya und Shampoo haben Kunst studiert und Musik gemacht, Sigi war Sozialarbeiter und hat auf einem Abenteuerspielplatz mit Jungs irgendwelche Schweißarbeiten gemacht, hat dann aber auch angefangen, Stahlmöbel zu bauen. Ka war kaufmännische Angestellte in irgendeiner Firma. Im Prinzip waren alle gleich: Keiner war besser oder schlechter, jeder hat irgendwie etwas Neues gemacht, egal, welchen Beruf er hatte. Und abends hat man sich dann halt im Hof getroffen und gesoffen und Musik gehört. Und wie war die Stimmung an der Akademie? Ende der 7oer Jahre gab es an der Akademie nur dieses vermeintlich genialistische Künstlerbild. Studenten, die wunderbar zeichnen konnten, dachten, sie seien die besten Künstler der Welt. Die sind alle untergegangen. Wir sagten, wir geben nichts auf das Künstlertum, also im Unterschied zu den Wilden in Berlin oder Köln damals. Oder dann dieser andere Individualismusschrott, da gab es ja die Rocky Horror Picture Show, wo dann Angestellte sich dämlich angezogen und blöde Partys im Kino abgefeiert haben. Wir dachten, diesen Individualistenscheiß brauchen wir nicht. Wir kaufen uns einen Anzug, sehen aus wie ein Bankangestellter und machen unsere Arbeit. Und die Themen, die wir bearbeiten, sind relativ banal und alltäglich. Meinen Sie, das hat auch was mit Düsseldorf zu tun? Naja, vielleicht ist Düsseldorf die Stadt der Angestellten. Und wir wollten alle auch Angestellte sein. (lachen) Und jetzt haben Sie die Professur der Fotoklasse an der Kunstakademie Düsseldorf. Genau. Und was bringen Sie Ihren Studenten bei? Ich mache es im Prinzip wie Bernd Becher. Nur ganz anders. (lachen) Das heißt, die Studenten können tun und lassen, was sie wollen. Ich habe einfach die Erfahrung gemacht, daß ich, wenn ich etwas anfange, nicht weiß, wo ich landen werde. Und ich gehe davon aus, daß es den Studenten genauso geht. Ich kommentiere natürlich, was die da machen. Aber ich bin 15 bis 2o Jahre älter als meine Studenten, und weiß, daß sie die Dinge ganz anders verarbeiten als ich. Becher hatte damals tatsächlich nur die objektive Fotografie zugelassen. Und teilweise Leute aus der Klasse geschmissen, die anfingen, komisch herum zu fotografieren. Wie finden Sie die Studenten heute an der Akademie? Die Studenten sind heute mit einer ganz anderen Realität konfrontiert als wir damals. Heutzutage gibt es die Möglichkeit von künstlerischer Fotografie zu leben. Für uns war damals klar, wir werden mit unserer Fotografie niemals Geld verdienen. Wir würden immer irgendwelche Jobs machen müssen und nur nebenher Zeit für unsere künstlerische Arbeit finden. Jetzt hat sich die Situation natürlich um 18o Grad gedreht... Wie hatten Sie denn damals die Becher-Klasse erlebt? Als ich in die Becher-Klasse kam, waren da unter anderem schon Candida Höfer, Axel Hütte und Thomas Struth. Und im Prinzip wurde ich zunächst nicht wahrgenommen. Axel Hütte hat mich zum ersten Mal angesprochen, als er mitgekriegt hat, daß ich in der Dunkelkammer interessante Musik hörte (lacht)... Ansonsten war es ziemlich hierarchisch. Mit den Leuten aus der Becher-Klasse hatte ich wenig zu tun. Wir haben uns höchstens mal über technische Sachen unterhalten. Die Akademie hat natürlich größere Freiräume als eine Universität. Ich habe weder Kunstgeschichte noch Philosophie gemacht, sondern nur ein Semester lang ein Adorno-Seminar besucht, das ich aber auch nicht so aufregend fand. Ich habe lieber praktisch gearbeitet. Und das war damals halt möglich an der Akademie. Schlußendlich war ich 8 Jahre lang Student, da ich auf die Dunkelkammer angewiesen war, bis dann Axel Hütte, Andreas Gursky und ich 1986 hier im Vorderhaus unsere eigene Dunkelkammer einrichten konnten. Sie sind ja immer noch in diesem Haus. Woran liegt es, daß sie Düsseldorf die Treue halten? Natürlich habe ich nach dem Studium überlegt, ob ich nicht mal die Stadt wechseln sollte. Aber innerhalb von Deutschland umziehen, München, Hamburg oder Frankfurt, nein, das ist keine echte Veränderung. Und Berlin war damals einfach Scheiße mit dieser komischen Insel-Situation. Da haben auch Freunde von mir gewohnt, die einfach Hippies geblieben sind. Kam also nur das Ausland in Frage. Für meine ersten Porträts hatte ich das Paris-Stipendium der Kunstakademie gekriegt. Das hieß aber auch: ein halbes Jahr Unterbrechung der Arbeit, denn in Paris kannte ich niemanden. Also ich bin da mehr oder weniger nur durch die Stadt spaziert. London habe ich mir irgendwie nicht zugetraut, da war es schon immer teuer. Am schönsten wäre natürlich eine südliche Hafenstadt, aber da ist man natürlich völlig am Arsch der Welt. Als ich dann anfing die großen Porträts zu machen, habe ich einfach gemerkt, wie perfekt Düsseldorf ist. Als Werbestadt - das heißt, jede Menge Labors, die innerhalb von 1 1/2 Stunden Filme sauber entwickeln können, und als Messestadt - die ganzen Labors sind es auch gewohnt, großformatige Abzüge zu machen. Sehen Sie sich als deutscher Künstler, hat das eine Bedeutung? Eigentlich nicht. Die Generation vor mir, mußte noch nach New York, um die richtige Kunst machen zu können. Bei mir eher: Gesunder Provinzialismus. Sie sagen, daß das Paris-Stipendium Ihr Arbeiten an den Porträts ausgebremst hätte. Ja, aber das war nicht schlimm. Denn jedesmal wenn ich länger im Ausland war - ich hatte auch das Villa Massimo Stipendium in Rom - begann ich die ganzen Abläufe und Rituale, die mir selbstverständlich vorkamen, zu hinterfragen. Ich war zum Beispiel schockiert, als ich von Paris zu einer Ausstellung nach München mußte, wie piefig Deutschland ist: Straße, zwei Meter Gehweg, Türe, Haus. Du kannst nur die ganze Zeit drinnen sein oder irgendwo hin unterwegs. In Paris riesige Boulevards, riesige Trottoirs und jede Menge Stühle vor den Häusern. Ein ganz anderes Leben. In Rom im Prinzip genauso, und das Autofahren macht da Spaß und die Bürgersteige sind nicht nur dazu da... ...Gefegt zu werden. Genau. Es gab ja auch den Vorwurf, die Porträts seien Nazikunst. Als 1988 die Porträts bei Aperto während der Biennale in Venedig hingen, kam ein bescheuerter Franzose und sagte, das sei entweder Nazikunst oder sozialistischer Realismus. Das hat mich ziemlich geärgert und ich habe mir gedacht, dem zeige ich mal richtig arische Porträts. Ich habe zwölf Porträts aus meiner Porträt-Serie genommen und den Augen blaue Pupillen verpasst. Naja, als ich die Ergebnisse dann an der Wand sah, erinnerte es weniger an Nazi- oder arische Kunst, als vielmehr an Genmanipulation. Für mich war der Vorwurf damit abgehakt. Wie kam es überhaupt zu den Porträts? Weil ich eine Kamera hatte und Abzüge machen konnte, hatten mich EKG kurzerhand zum Art Director ernannt. Ich mußte die Bandfotos machen. Irgendwie hat es mich dann gejuckt, Porträts zu machen. Damals um 1981 gab es ja nur Wilde Malerei. Das Porträt war weitestgehend aus der zeitgenössischen Kunst verschwunden. Und die Fotografie in den 70ern beherrschte ein Sozialdokumentarismus - der Arbeiter/Angestellte am Arbeitsplatz und/oder der Arbeiter/Angestellte in seinen privaten Räumen. Das fand ich super peinlich. Ich war zwar kein Punk, aber ich habe in einem etwas anderen, harten sozialen Umfeld gelebt. Und ich bin davon ausgegangen, daß man es eh nicht schafft, in einem Bild die Persönlichkeit einzufangen. Man müßte unendlich viele Bilder machen, um eventuell etwas über eine Person zu erfahren. Also sozialdemokratisch - ich nenn das mal so - wollte ich nicht arbeiten. Und da dachte ich: okay Portraits, dicke Sache, probieren wir mal. Zuerst schwarz-weiß, kleinformatig. Dann hab" ich das weiterentwickelt bis zum Rundgang an der Kunstakademie 1982, wo ich meine ersten fünf kleinformatigen Porträts mit den farbigen Hintergründen zeigte. Gab es da Auseinandersetzungen mit den Bechers? Bernd Bechers war ziemlich glücklich mit mir, als ich die Interieurs gemacht habe - das war direkte, schöne Dokumentar-Fotografie. Daß ich das in Farbe machte, fand er auch in Ordnung. Mit den Interieurfotos hatte ich auch innerhalb der Akademie ziemlichen Erfolg. Thomas Schütte und Harald Klingelhöller hatten schon Kontakt zum Münchner Galeristen Rüdiger Schöttle und ihn beim Rundgang in unsere Klasse geschickt, damit er sich meine Sachen anschaut. Da hat die ersten Interieurs gesehen und gesagt "Ist ja ganz schön, wir machen mal eine Ausstellung". Und nach einem Jahr gab es tatsächlich eine Ausstellung bei Schöttle, bei der Klingenhöller seine Skulpturen zeigte und ich meine Interieurs. Verkauft wurde natürlich nichts. Man hat mir auf die Schulter geklopft, weitermachen... (lachen) Dann ging es mit den Porträts weiter. Nachdem ich die Form endgültig entwickelt hatte - 9 x 12 Negativ, Kunstlicht, farbiger Hintergrund - bekam ich das Paris-Stipendium. Ich glaube, Bernd Becher war mit den Porträts nicht so richtig glücklich. Ihm fehlte das Dokumentarische. Man könnte sie als sachlich bezeichnen, aber trotzdem sahen sie doch sehr artifiziell aus. Damals ist mir zum ersten Mal klargeworden, daß Fotografie nicht nur bedeutet: Kamera, Linse, Objekt davor und klick!, sondern daß dazwischen auch jede Menge passieren kann, daß bei der Fotografie arrangiert und manipuliert wird, daß der, der hinter der Kamera steht, die Kontrolle über alles hat. Spielt da das Moment der Überraschung eine Rolle für Sie? Alles, was wir uns ausdenken, kann nur beschränkt bleiben. Erst wenn Zufall oder Glück dazu kommt, kann die Arbeit den Kick kriegen, der über dieses nur Geplante hinausgeht. Wenn ich mit einer Arbeit beschäftigt bin, kann ich überhaupt nichts erklären. Erst hinterher ist man schlauer. Aber währenddessen, da arbeite ich vor mich hin - das ist eine Mischung aus Herz, Kopf, Bauch. In dieser Zeit kann alles passieren. Man kann scheitern, man kann aber auch sehr schön die Kurve kriegen. Und setzen Sie sich während der Produktion mit jemandem auseinander? Nein. Meine Freundin sieht natürlich alles, aber im Prinzip mache ich das nur mit mir aus. In der Hinsicht habe ich ein sehr konventionelles Künstlerbild. Da wurden wir durch unsere Ausbildung sehr traditionell geprägt, es gibt einen Autor, der macht Karriere oder eben nicht. Es heißt zwar immer "die Becher-Klasse", die man vielleicht als Gruppe sehen kann, aber zusammengearbeitet haben wir kaum. Wie kamen Sie auf die Idee, ausschließlich Leute von der Akademie zu portraitieren? Die ersten vier Porträts waren die Mitglieder von EKG. Sie hatten immer Zeit für mich, um Probe zu sitzen, Licht auszuprobieren oder einen anderen Hintergrund. Als ich die Fotos beim Rundgang ausgestellt hatte, war es relativ leicht, mehr Leute anzusprechen. Wie ich die aussuche, ist nicht zufällig, eher intuitiv. Ich bewege mich in der Akademie, jemand läuft an mir vorbei und plötzlich: Klick, da war doch was. Dann renn ich hinterher und frage, ob ich ein Portrait von ihm oder ihr machen dürfe. Manchmal habe ich auch gesagt, "das Hemd ist klasse, kannst Du das anziehen" oder "Du kannst anziehen, was Dir gefällt". Außerdem war es mir wichtig, daß die Porträts gleich viele Männer und Frauen zeigten. Bei der Präsentation habe ich darauf geachtet, daß sich Mann Frau Mann Frau Mann Frau abwechseln. Ich wollte damals sehr viele Porträts machen, circa 100 Fotos - eine Galerie meiner Zeitgenossen. Mir war klar, daß ich mit Akademiestudenten nur einen sehr kleinen Ausschnitt aus der Bevölkerung zeige. Ich fand das aber okay, weil das eben meine Welt war. Zu dem Zeitpunkt kannte ich in Düsseldorf keine kleinen Kinder und keine alten Leute. Und sah keinen Sinn darin, die auch zu fotografieren, nur um da vielleicht ein größeres Spektrum reinzukriegen. Ich denke, daß wenn ich mit der gleichen Ausrüstung in den Schwarzwald gefahren wäre, um meine früheren Freunde zu fotografieren, die Metzger oder Anwälte geworden sind, das wäre eine ganz andere Serie geworden. Die Porträts funktionieren auch deswegen so gut, weil alle Leute, die ich fotografiert habe, eine visuelle Ausbildung hatten - sie wußten, worauf sie sich einlassen. Die Jungs und Mädels im Schwarzwald, die hätten nicht das Gegengewicht zur Kamera geschaffen. Es ist ja ein ziemlicher Apparat, der da vor Dir steht. Nochmal zur Auswahl, es gab auch Leute, die sauer auf mich waren, weil ich sie nicht gefragt habe. Ich habe dann tatsächlich zwei, drei aus Freundlichkeit porträtiert. Aber diese Fotos sind irgendwie nichts geworden. Mit diesen Porträts haben Sie sich dann vom künstlerischen Konzept der Bechers gelöst. Das, was Bernd und Hilla Becher unterrichtet haben, deren Vorstellung von Fotografie war natürlich sehr wichtig und richtig für mich. Diese Art der objektiven, dokumentarischen Fotografie. Bechers sind wunderbare Künstler und ihre Arbeit ist absolut klasse. Für die Dinge, die sie machen, haben sie die perfekte Technik und Form entwickelt. Aber nicht für mich. Ich fand es schwachsinnig, ihr Konzept auf Trinkhallen, Brücken oder Stahltore zu übertragen. Und deswegen habe ich angefangen die verschiedensten Dinge zu entwickeln. Wie kamen Sie zum großen Format? Ich habe immer wieder versucht, andere Größen auszuprobieren, unter anderem die Portraits 1:1 abzuziehen. Aber das fand ich dann langweilig, weil die Fotografie der Wirklichkeit zu ähnlich geworden war. Ich glaubte damals, Fotografie sollte entweder Verkleinerung oder Vergrößerung von Wirklichkeit sein. 1986 konnte ich eine Ausstellung in der Galerie von Philip Nelson in Villeurbanne (Lyon) machen. Ich hatte ihm im Vorfeld erzählt, daß ich gern mal ein oder zwei Porträts richtig groß machen würde, daß ich aber kein Geld dafür hätte. Er fragte, was es kosten würde, ich sagte, fünf Abzüge 3 000 Mark und er: "Okay, hier ist das Geld". Dann bin ich in die Großbild-Abteilung vom Fotolabor Grieger gegangen, wo das erste große Porträt geprintet wurde - und das war ziemlich verblüffend, weil kein Blow-Up eines Fotos sondern ein total neues Bild entstanden war. Die fünf Porträts zeigte ich als Lappen, nur an der oberen Kante zwischen zwei Alu-Leisten geklemmt - das war nicht so toll, die haben sich gewellt. War die Ausstellung in Villeurbanne ein Erfolg? Ein ziemlicher Erfolg. Bei der Eröffnung kamen auch Leute zu mir und sagten: "den kenne ich, das ist doch ein französischer Fernseh-Schauspieler" - es war aber Thomas Bernstein. Die dachten GROSS bedeutet auch prominent oder wichtig. Die hatten nicht damit gerechnet, daß Kunststudenten als große Köpfe in einer französischen Galerie hängen. Ein Jahr später wollte Jörg Johnen mit mir eine Ausstellung machen. Ich wollte dann bei Grieger die Bilder kaschieren lassen und eine Plexiglasscheibe davormachen. Aber sie hatten eine neue Methode, um das Foto direkt auf mattes oder glänzendes Plexiglas zu kaschieren. Ich nahm glänzend und dadurch ist ein weiterer verblüffender Effekt eingetreten. Als Oberfläche erschien nicht mehr der Fotoabzug, sondern das Plexiglas, die Bilder wirkten wie Hinterglasmalerei. Diese Brillianz hat die Leute damals richtig umgehauen. In diesen großen Porträts war der Turbolader drin, damit ging es richtig los. Gab es zu der Zeit eine Auseinandersetzung mit Gursky oder Struth? Wenig, zu dem Zeitpunkt haben die noch klein gearbeitet. Ich glaube, Andreas hat seine Schwimmbäder in Ratingen fotografiert und Thomas hat zu dem Zeitpunkt noch seine schwarz-weißen Straßen gemacht - glaube ich zumindest. Sie sind also der Pionier des großformatigen Fotos. Als Pionier würde ich mich nicht bezeichnen, da es großformatige Fotos schon länger gibt. Die Technik wurde für die Werbung entwickelt, außerdem gab es Künstler wie zum Beispiel Katharina Sieverding oder Günther Förg, die großformatige Abzüge ausstellten. Allerdings war ich der erste aus der Becher-Klasse, der das Großfoto benutzt hat. Ich habe auch mit den Laboranten bei Grieger so lange Tests gemacht, bis sie dann so gefiltert haben, wie ich es wollte - hart und sachlich und nicht so warm und soft, wie für die Werbung. Und davon haben die anderen als auch sie anfingen, groß zu arbeiten, profitiert, da sie den Service direkt übernehmen konnten. (lacht) Und Kodak war Schuld, daß Sie mit den Porträts aufgehört haben? 1991 hat Kodak ein neues Papier auf den Markt gebracht und die Produktion des bisherigen eingestellt. Wir haben bei Grieger versucht, die Porträts darauf abzuziehen und das sah absolut Scheiße aus. Das Papier war viel zu kräftig, die Porträts sahen auf diesem Papier aus wie Karikaturen. Da ich aber schon die Häuser fotografiert hatte und mit den Sternen beschäftigt war, habe ich mir eben gesagt, "okay, jetzt hast Du zehn Jahre Porträts gemacht, wenn der liebe Gott nicht mehr will, daß ich Portraits mache, dann höre ich eben auf!" Kommen wir also zu den Sternen. Die Sterne, das ist eine biographische Geschichte. Ich habe mich immer für Astronomie interessiert, Bücher darüber gelesen, ein Fernrohr gekauft. Mich hat es immer interessiert, was da oben passiert. Einer meiner Lieblingsszenen aus Blade Runner ist, als der, wie heißt er nochmal, der Blonde... ...Rutger Hauer... ... wie der im Sterben liegt und erzählt, was er alles gesehen hat - das ist absolut klasse. Und natürlich Stanley Kubricks 2001 - einer meiner Lieblingsfilme. In meinem ersten Atelier auf der Hansaallee war das erste, was ich mir eingebaut habe, eine Badewanne. Und dann lag ich abends in der Wanne, knipste das Licht aus und konnte durchs Dachfenster raus in den Sternenhimmel schauen. Im Prinzip war das schon das Foto. Ich saß dann wieder mal mit Philip Nelson, dem Galeristen aus Villeurbanne, zusammen und wir haben so rumgesponnen. Jetzt habe ich Interieurs fotografiert, Porträts und Häuser und vielleicht kommen jetzt Blumen oder Sterne. Und das mit den Sternen ist mir nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Bei den Sternen wurde mir klar, daß ich zum ersten Mal die Aufnahmen nicht selber machen konnte. Ich wußte aus meiner Amateurzeit, mit Sternenfotografie ist in Mitteleuropa aufgrund der Licht- und Luftverschmutzung nichts zu machen. Zunächst wollte ich einem Profi die Aufnahmen nach meinen Vorgaben machen lassen. Aber das ging nicht, denn auch ein Profi wartet unter Umständen Jahre bis er an einem großen Teleskope arbeiten kann. Also mußte ich auf schon bestehendes Material zurückzugreifen. Ich wußte, daß für wissenschaftliche Forschung schon der ganze Himmel abfotografiert worden war. Ich habe dann recherchiert und am astronomischen Institut der Universität Bochum den fantastischen Satz von 600 großformatigen Negativen gefunden. Aufnahmen der Europäischen Südsternwarte (ESO) in den chilenischen Anden. Die ESO verkauft Kopien der Glasnegative auf Gelantine-Film an astronomische Institute und Universitäten. Den Satz für 25.000 Mark. Das war ein Haufen Geld, aber ich hatte mit meinen Porträts genug verdient, um die Investition machen zu können. Und nun hatte ich das beste Material, das es auf der Welt gab. Nun konnte die Arbeit beginnen. Das lief dann so: Ausschnitt wählen, vergrößern, an die Wand hängen. Das war die bequemste Arbeit, die ich je gemacht habe. Nicht von Wind und Wetter abhängig sein, nicht morgens um fünf Uhr aufstehen, um auf das richtige Licht zu warten. Stattdessen so lange schlafen, wie man will, aufstehen, Leuchttisch anmachen, Ausschnitt wählen, ins Labor geben und abholen. Aber das war jetzt natürlich nur die Kurzversion. Wie kommen Sie überhaupt zu Ihren Sujets? Im Prinzip ist alles biographisch. Als ich die grünen Bilder der Serie Nacht gemacht habe, war der Golfkrieg der Auslöser, auch wenn ich natürlich ebenfalls von dieser Technik fasziniert war, in absoluter Dunkelheit etwas zu sehen. Bei den anderen Porträts, bei diesen gedoppelten grauen Dingern, war es einerseits die Polizeifotografie und andererseits die Frage, was macht eigentlich Individualität aus, wie sehr kann man einem Gesicht glauben, was ist noch als Gesicht vorstellbar. Ich würde einfach sagen, jeder Künstler ist ein normaler Mensch, der ein alltägliches Leben führt. Und in diesem Leben stößt man einfach auf bestimmte Dinge, man kommt in Situationen, die einen inspirieren oder man regt sich über die politische Weltlage auf und reagiert dann darauf. Der gesellschaftliche Kommentar ist also wichtig in Ihrer Arbeit? Ich gehe davon aus, daß jedes Kunstwerk politisch ist. Jeder Mensch, auch der Künstler, ist ein gesellschaftliches Wesen und setzt sich mit der Gesellschaft auseinander. Man kann sich nur über den Grad streiten. Wenn ein russischer Künstler unter Stalin nur Blumen malt, kann das natürlich total politisch sein. Nur weil eine Arbeit offensichtlich politisch aussieht, muß eine andere, die offensichtlich unpolitisch aussieht, es noch lange nicht sein. Waren die Nacht Bilder Ihre Art des Protests gegen den Golfkrieg? Ich bin davon ausgegangen, der Krieg findet in der Golfregion statt, aber die ganzen Entscheidungen und Interessen sind westliche. Also wollte ich mit einem Restlichtverstärker durch Düsseldorf gehen, die Stadt zum Kriegsgebiet erklären und schauen, wie die Umgebung unter diesen Bedingungen ausschaut. Das war die ursprüngliche Idee. Ich wollte alles, was militärisch-strategisch wichtig ist, also Bahnhöfe, Brücken und ähnliches fotografieren. Woher hatten Sie den Restlichtverstärker für die Nacht Bilder? Von meiner Lieblingsfirma Zeiss. Im Prospekt steht, mein Gerät könne jeder kaufen - Flughafenüberwachung, private eye und so Zeug. Beim nächst größeren steht: "für den Aufbau auf leichte Waffen", beim nächstgrößeren: "für den Aufbau auf schwere Waffen" und beim größten: "wird beim BKA angefragt, ob sie es kaufen dürfen". (lachen) Welche Rolle spielt die Auseinandersetzung mit Foto-Technologie für Ihre Arbeit? Sie steht nicht im Vordergrund, das kommt eher zufällig. Schon meine Brille ist eine Prothese, weil ich ohne Brille nur unscharf sehe. Die Kamera ist die nächste Stufe, damit kann man etwas festhalten, zum Beispiel Dinge, die man nach zehn Jahren vergessen hätte. Also Fotografie als Prothese fürs Gedächtnis. Und dann gibt es eben andere optische Prothesen - bei den Sternen das Teleskop, bei der Nacht Serie der Restlichtverstärker und so weiter. Daß ich mich mit der Technologie in der Fotografie auseinandersetze, liegt auch daran, weil eben jede Menge Bilder, die wir anschauen, Maschinenfotos sind, die gar kein Mensch mehr gemacht hat, sondern eine automatisierte Maschine. Neben wir die Überwachungskameras, die Dinger laufen überall und ständig, zeichnen Bilder auf, die niemand anschaut, außer gerade mal ein Wachmann. Ständig werden Bilder produziert, die dann teilweise merkwürdige Sachen generieren. Immer wenn es eine neue Technologie gibt, verändert das auch unsere Haltung. Überwachungskameras werden ja jetzt schon im Kindergarten eingesetzt, weil Mami der Kindergärtnerin nicht mehr traut. Und spielen philosophische Momente eine Rolle für Sie? Ich finde es schwierig, wenn sich Kunst nach irgendwelchen Philosophien richtet. Jede Menge Künstler beziehen sich irgendwie auf französische Philosophen der 6oer Jahre. Das ist ja wunderbar, ich habe auch Roland Barthes gelesen, aber wenn man sich als Gegenwartskünstler sieht, warum sollte man dann 4o Jahre alte Gedanken visualisieren? Wenn man natürlich Formalien braucht, damit der Betrachter die Bilder versteht, kann man natürlich schon mal eine dieser Schublade aufziehen und sagen:" ja okay, das Bild ist... strukturalistisch angelegt. " (lachen) Quälen Sie sich auch mal an einem Motiv? Scheitern Sie auch? Natürlich, ich habe manchmal ganz merkwürdige Bildideen, versuche die zu visualisieren und merke dann, das geht gar nicht. Dann lass ich es bleiben und schiebe es in die Schublade und guck in zwei Jahren vielleicht nochmal. Zum Beispiel Blumen. Ich würde unheimlich gerne Blumen fotografieren. Aber ich schaffe es nicht. Alle paar Jahre kaufe ich wieder einen Blumenstrauß und versuche es aufs Neue. (lacht) Und es kommt nur Mist raus oder Zeugs, was es eh schon gibt. Das sehen Sie ganz gelassen. Man kann sowieso nichts erzwingen. Wie ist das mit Ihren Werkreihen? Ist für Sie eine Serie irgendwann beendet? Sie fragen, weil ich die Porträts 1998 wieder aufgenommen habe? Zum einen war da meine eigene Neugier zu schauen, ob die Porträts aus den 80ern nur eine Zeitgeist-Erscheinung waren, oder ob sie etwas Universelles haben. Das wollte ich überprüfen, in dem ich in dem gleichen Stil mit jungen Menschen, die heute in dem gleichen Alter sind wie wir damals, die Arbeit wiederhole. Ich habe das gemacht, um zu sehen, ob es altmodisch, zeitgeistig verschoben ist. Aber das war es dann nicht, meine Porträts sind tatsächlich immer noch gültig. (lachen) Das andere, was ich überprüfen wollte, war, darf ein Künstler sich selbst imitieren? Darf er 1998 eine Arbeit von 1988 kopieren. Was sagen die Leute dazu. Und was haben die Leute gesagt dazu? Mehr oder weniger Nichts. (lachen) Also ich glaube, viele haben es gar nicht gemerkt, daß ich jahrelang keine Porträts gemacht habe. Die dachten, klar, Ruff, große Köpfe, es geht weiter. Und das Papier? Ich habe 1998 ein soviel weicheres Negativmaterial gesucht, wie das neue Papier härter geworden ist. Das hat nicht hundertprozentig geklappt. Die neuen Portraits sind tatsächlich kräftiger. Aber in einem Rahmen, der für mich akzeptabel ist. Nur das Grundweiß ist weißer geworden! Also nicht, weil die alten Fotografien Patina angesetzt hätten. Nein, das ist wie in der Waschmittel-Werbung: ... so weiß, weißer geht es nicht! Und Kodak schafft es tatsächlich ein immer weißeres Weiß herzustellen. Für Ihre Werkreihe, die nudes, hatten Sie das Internet als Materialquelle genutzt und dieses Material anschließend im Rechner bearbeitet. Eigentlich hatte ich ganz klassisch an Aktfotos gedacht. Ich habe die Recherche dann im Internet begonnen und kam zu Seiten mit Bildern von Peter Lindbergh oder Helmut Newton. Aber deren Bildvorstellung fand ich antiquiert, das ist in meinen Augen 19. Jahrhundert. Aber parallel dazu stieß ich auch auf Pornoseiten. Die fand ich sehr verblüffend und auf eine sehr spezielle Art ehrlich, da sie mehr oder weniger alle sexuellen Praktiken und Wünsche zeigen. Ich wollte zeitgenössische, erwachsene Aktfotografie machen - meine Kunst richtet sich ja auch sonst an ein erwachsenes Publikum und nicht an pubertierende Max-Leser. Auf den Pornoseiten des Internet habe ich dann das Material gefunden, mit dem ich weiterarbeiten konnte. Natürlich mache ich mich auch über das Internet lustig. Start-ups, New Economy, schnelles Geld verdienen. Diese Euphorie, an jede Information zu kommen, zu jeder Zeit. Was natürlich auch passiert war, daß das älteste Gewerbe der Welt diese Möglichkeiten sofort nutzte und jetzt mehr Kunden hat, als je zuvor. Die nudes sind also auch eine Arbeit über Exhibitionismus und Voyerismus. Und Sie hatten dann plötzlich einen Kommentar zu Gerhard Richters "unscharfer Malerei". Das war natürlich nicht intendiert. Aber ich muß Gerhard Richter Recht geben, wenn er behauptet, es gibt keine unscharfe Malerei. Ein Pinselstrich kann nicht unscharf sein. Auch bei meinen nudes ist das kleinste Element, der Pixel, scharfkantig. Das die Bilder trotzdem unscharf wirken, liegt am Betrachter. Sie mußten sich also mit der schlechten j-peg Auflösung auseinandersetzen. Ja. Die Bilder im Internet haben in der Regel Bildschirmauflösung und Bildschirmgröße, sie sind sehr klein, nie größer als 72 dpi und 18 x 24 cm. Diese Bilder einfach groß beziehungsweise hochrechnen geht nicht. Ich habe deswegen eine Art Pixelverschieber angewandt, der aus einem großen Pixel 16 kleine macht, und diese neuen Pixel nehmen die Farbe von den benachbarten Pixeln an. Dadurch kriegt das Bild eine schöne Struktur, die ich weiter bearbeite. Das erste Motiv war ziemlich brutal, eine Frau masturbiert mit einem Kegel, und ich war ziemlich verblüfft, was für ein schönes Bild herauskam, als ich das Bild durch meine Pixelverschiebung genudelt hatte. Haben Sie eigentlich einen Lieblingsfotografen? Oh Gott. Es gibt zu viele, die würden mir jetzt alle gar nicht einfallen. Aber natürlich schätze ich alle meine Kollegen. (lachen) Ein schönes Schlusswort. (lachen)
08 2003, leicht redigiert erschienen in Alert #11, Interview mit Christian Jendreiko ... top. Monika Sprüth, Gespräch 08 2003 Monika Sprüth feiert dieses Jahr das 20 jährige Bestehen Ihrer Galerie. Sie, die gemeinsam mit Künstlerinnen wie Cindy Sherman, Jenny Holzer, Barbara Kruger und natürlich Rosemarie Trockel groß geworden ist, aber auch Fischli und Weiss, George Condo, Thomas Demand oder Andreas Gursky vertritt; sie, die mit ihrer Galerie-Politik entscheidend eine feministische Gegenwartskunst mitgeprägt hat; der er es aber genauso wichtig war, zwei Kinder aufzuziehen; und die eigentlich sowieso lieber über Fußball sprechen möchte, als über den Kunstmarkt. Wir sitzen vor den Toren von Köln im Gras und schauen ihrem Sohn beim Fußballspielen zu. Leider wird er wegen Magenschmerzen das Training vorzeitig abbrechen. Unser Gespräch wird seine Fortsetzung in Monika Sprüths Küche finden - wo sie das Abendessen für Ihren Sohn und ihre Tochter kocht.
Was hat denn jetzt Fußball mit Andreas Gursky zu tun? Also..., ich entspanne mich beim Fußball. Eigentlich sollte ich mich auch beim Betrachten eines Fotos Andreas Gursky entspannen, aber da kommen gleich soviel andere Gedanken der Verantwortlichkeiten auf, sodaß die Entspannung, die Kunst bringen kann, verfliegt. Oder meinen Sie seine Fußballfotografien? Also so einfach wollte ich das nicht beantwortet wissen. Nee, nein. Also Fußball... finde ich von zwei Seiten her interessant: einmal die Rolle, die er gesellschaftlich spielt, und dann natürlich das Spiel an sich. Ein richtig gutes Fußballspiel richtig gelesen kann so spannend sein wie ein gutes Kunstwerk.Es gibt natürlich nur wenige solcher Spiele und nur wenig Trainer, die dazu in der Lage sind. Real Madrid hat in den letzten Jahren einige dieser Spiele gezeigt. Wenn da jeder Einzelne ein Künstler am Ball ist und dann noch in der Lage, das in ein Mannschaftssystem einzubinden. Haben Sie selbst gespielt? Nein, leider nicht. Das ist auch mein Handycap, beim Verstehen gewisser Spielzüge. Ich bin da aber sehr bemüht, dieses Defizit aufzuholen, daß ich ein Fußballspiel so gut lesen kann wie die Kunst. So wie sich das Verständnis von Kunst verändert hat, so auch das System, wie Fußball gespielt wird. Neulich las ich: der moderne Fußball sei in der neuen Unübersichtlichkeit angekommen. Nach Sloterdijk. Ist natürlich super, das Prinzip Überzahl und das Ende der Systeme. Weil das ist es genau, was in der Kunst auftaucht ab Mitte der Siebziger. Wie der italienische Künstler Alighiero Boetti es definiert hat: Ordnung und Unordnung als Leitmotiv. Das findet man in der modernen Trainingslehre auch wieder. Es wäre eine wahnsinnige Herausforderung für mich, ohne je Fußball gespielt zu haben, dies zu erkennen. Ich will jetzt kein Trainer werden, aber wenn ich auch noch in der Lage wäre, frühzeitig das Potential eines Spielers zu erkennen - so wie ich das in der Kunst konnte - das wäre genial. Ich meine damit nicht nur ein gewisses Talent, das erkenne ich heute schon, ich meine, alles, was dazu gehört, vom Körperbau bis zur Beidfüßigkeit. Mein Traum wäre, wenn die Galerie mich nicht mehr braucht, Talentscout für junge Spieler zu sein. Heute macht mir fast am meisten Spaß, Spiele bis zur A-Jugend anzugucken. Früher konnte ich Fußball nur geniesen, wenn ich für eine Mannschaft war, ich diese Adrenalinschübe hatte, wenn meine Mannschaft am verlieren war. Heute will ich einfach ein richtig gutes Fußballspiel sehen. Und die Taktik dahinter erkennen können. Wenn ich ein Spiel sehe, wo ich für keine Mannschaft eine besondere Sympathie hege, ändert sich das, wenn die einen unfair spielen oder vom Schiedsrichter bevorteilt werden, ein Tor zugesprochen kriegen, das eindeutig Abseits war. Dann sind meine Emotionen auf Seite des benachteiligten Teams. Ich habe da keinen Gerechtigkeitssinn. Ich sah neulich das Endspiel um die deutsche Meisterschaft der A-Jugend: Bayer Leverkusen gegen VfB Stuttgart. Da war von der Spielanlage her eindeutig der VfB Stuttgart die modernere Mannschaft. Die haben den offensiveren und interessanteren Fußball gespielt - aber lagen zurück. Die Jugendmannschaften der großen deutschen Vereine, die erfolgreich sind, haben zu 50 bis 80 Prozent nicht die technisch versiertesten, talentiertesten Spieler, sondern die, die technisch okay sind, aber sich schlußendlich mit Kraft durchsetzen. Eine Idee von Fußball, wenn man heute mit Trainern redet, die längst wieder passé ist. Aufgrund des Erfolgsdrucks ist das aber da. In diesem Spiel hatte sich dann aber der VFB Stuttgart durchgesetzt, mit der interessanteren Spielanlage - einem System, das die Kraft gar nicht so notwendig machte - und den interessanteren Einzelspielern. Ich will dann einfach, daß die bessere Mannschaft gewinnt. Mehr ist dann nicht mehr bei mir. Aber die bessere Mannschaft ist doch die, die gewinnt, oder? Nee, nicht immer. Also Bayern München spielt ja auch schon mal schlecht, gewinnt aber doch. Wo man dann denkt, jetzt haben sie sechs Spiele lang guten Fußball gezeigt und jetzt spielen sie zwei Spiele schlecht, aber gewinnen trotzdem, vielleicht weil sie routiniert sind. Nein, die gewinnen nicht nur, weil sie routiniert sind oder Glück haben. Ich kann Ihnen da was erzählen. Mein Sohn hat sich vor Jahren mit dem französischen Spieler Liliam Thuram angefreundet. Nachdem der vom AC Parma zu Juventus Turin gewechselt war, erzählte er uns, wie unglaublich es für ihn war, zu erleben, wie unterschiedlich die Schiedsrichter für Juventus pfeifen und für Parma. Und das kann der spielbestimmende Faktor sein. Das hat jemand gesagt, der seit Jahrzehnten Profi ist, Europameister, Weltmeister. Natürlich hat Juventus auch gute Spieler, spielt guten Fußball und im Zweifel gewinnen die auch eher mal ein schlechtes Spiel. Aber in erster Linie ist es die größere Marke. Genau, das ist eine eingeführte Marke. Und wie schauen Sie Fußball? Früher am liebsten alleine. Heute lieber mit jemandem, der mehr Ahnung hat als ich, um mich auf Spielzüge und Spielanlagen aufmerksam zu machen, die ich nicht erkenne. In Zukunft fände ich es unglaublich spannend, mich mit unterschiedlichen Bereichen wie Kunst, Literatur, Fußball zu beschäftigen, die, wenn es um Innovation geht, offensichtlich auf ähnlichen Gesetzmäßigkeiten basieren. Daß vergleichbare Systeme dahinter stecken, eben dieses Prinzip von Ordung und Unordnung. Ich bin ja eigentlich Architektin, daher schaue ich bei Architektur genau hin, was es Neues oder Interessantes gibt. Herzog und de Meuron zum Beispiel haben eine Architektur entwickelt, die nicht eindeutig einem Stil zuzuordnen ist. Die probieren unterschiedliche Formen und Materialien aus - scheinbar chaotisch. Während meines Studiums in den Siebzigern lassen wir "Lernen von Las Vegas" von Venturi/Rauch, ein Buch über die Anfänge der Postmoderne in der Architektur - Stilelemente aus allen Epochen bis zur Reklame zusammengewürfelt, alles was ikonografisch interessant schien, in einen Haufen geworfen. Daraus wurde diese totale Kitscharchitektur. Aber diese Vielfalt, die vermeintliche Unordnung könnte ja auch interessant sein. Bei Herzog und de Meuron, ist das so, daß sie die Vielfalt der Welt sehen, aber natürlich mit einer anderen formalen Kontrolle und anderen Fragestellungen. Und deswegen sehr innovative, neue Formen schaffen. Und im Grunde genommen kommt das aus einer großen Unordnung. Im Fußball ist das genauso. Da ist eine Unordnung, die bewußt geschaffen wurde, und dann durch eine Ordnung, ein Spielsystem wieder aufgebrochen wird. In der Kunst - neben Boetti - sind es auch Fischli und Weiss, die dieses Prinzip anwenden, und - jetzt sind wir zurück bei Ihrer Frage - in den Bildern von Andreas Gursky wird dieses Prinzip der Unübersichtlichkeit deutlich. In der Musik kenne ich mich nicht so aus, aber ich denke, da wird es ähnlich sein. Und in der Wirtschaft wohl auch. Da müßte es 100 Prozent genauso sein - in unserer so vielfältigen und komplizierten Welt, die so unterschiedlichen ökonomischen bis religiösen Traditionen unterworfen ist. Sicher gibt es viele schlaue Bücher, die all dies in die richtigen Systeme einordnen. Aber ich kam in den letzten Jahren kaum dazu, großartig Theorie zu lesen, und freue mich immer, wenn ich durch meine täglichen Erfahrungen und Erlebnisse selbst Zusammenhänge herstellen kann, die mir helfen, die Welt zu ordnen. Besonders spannend ist es, wenn ich Phänomene aus der Kunst, wo ich mich nunmal am Besten auskenne, auf Bereiche wie Fußball oder Architektur übertragen kann. Aber es wäre auch ganz schön, diese selbstgestrickten Ideen jetzt mal ein wenig theoretisch zu untermauern durch Bücher von schlauen Leuten. Sie erwähnten gerade, sie seien eigentlich Architektin. Ja. Aber mein Weg zur Kunst begann dennoch zu Schulzeiten. Mein leiblicher Vater war Künstler, meine Mutter zeichnete gut und war sehr kunstinteressiert. Auch ich konnte gut zeichnen und malen;und Kunst anschauen, war immer wesentlicher Bestandteil meines Lebens - Kunstgeschichte, Kunsttheorie habe ich nur nebenbei während meines Architekturstudiums gelernt, mein Zugang und mein Wissen zu Kunst geht im wesentlichen über das Sehen; aber ich glaube, das ist nicht das Schlechteste. Lange Zeit wollte ich Politik oder Geschichte studieren, aber am Ende der Schulzeit habe ich mich doch für die Kunst entschieden. Ein Kunststudium stieß aber auf wenig Gegenliebe meiner Eltern, so kam ich zur Architektur. Weil Kunst damals so brotlos war? Sagen wir so, ich bin traditionell bildungsbürgerlich aufgewachsen, und da standen eigentlich nur drei Berufe zur Diskussion: Arzt, Architekt, Rechtsanwalt. Lehrer war schon ad acta gelegt... Und Architektur könnte ja etwas mit Kreativität zu tun haben. Also meine Eltern wollten damals ein Haus bauen, und der Architekt sah klasse aus, hatte lange Haare, und seine Frau war eine Balletttänzerin. Die hatten sich bei Saarbrücken ein altes Haus umgebaut und brachten mal Fotos mit, wo sie sich mit Salvador Dali trafen. Und ich dachte, das Ganze macht doch einen guten Eindruck. (lacht) Das ist so ein Umfeld, das kann ich mir vorstellen - so doof, wie man das dann denkt. Es gab noch ein Erlebnis in meiner Kindheit. Mein Vater war lange Bühnenbildner an der Württembergischen Landesbühne. Ich saß da als Acht- bis Zehnjährige oft in den Vorstellungen und ging dann auch mit in die Theaterkneipe. Ich fand die Schauspieler alle ganz toll - dieses Leben, dieses Künstlerleben. Als vage Idee, wie man sein Leben gestalten könnte, nahm ich das sicher mit. 1968 begannen Sie, an der RWTH Aachen Architektur zu studieren. Im Herbst 1968. Und war natürlich sofort mitten drin in der Fragestellung, welche gesellschaftliche Rolle spielt Architektur. Und natürlich war schnell klar, daß die Frage der Form nur eine von vielen ist. Ich habe dann zwar unzählige Entwürfe von Häusern gemacht, aber unser eigentliches Thema war, in welchem Umfeld bewegt sich das Haus - also politisch, soziologisch, ökonomisch. Wir waren die Generation, die die Stadtplanungs-Studiengänge mit ins Leben gerufen hat. Wir hatten natürlich auch intensive Marxismus-Schulungen, wo wir uns in der Analyse gesellschaftlicher Verhältnisse trainierten. Je älter ich werde, desto dankbarer bin ich dieser Zeit, denn sie hat mir geholfen, Kunst und Kultur gesellschaftlich einzuordnen, bestimmte Gesetzmäßigkeiten und kulturelle Phänomene in ihrer Zeit zu verstehen. Ich bekam damals das Werkzeug in der Hand, interessante künstlerische Positionen herauszufinden. Ich machte dann meinen Abschluß und bin mit einer Gruppe von Absolventen als Stadtplaner ins Ruhrgebiet gegangen. Ich war 25 und hatte eigentlich eine interessante Position im Planungsteam der Stadt Oberhausen. Aber es faszinierte mich nicht wirklich. Ich entwickelte Konzepte, aber die Entscheidungen fielen in der Kommunalpolitik. Und mich auf dieser Ebene mit Machtverhältnissen auseinandersetzen, wollte ich nicht. Das Berufsleben hatte ich zu jenem Zeitpunkt sowieso nicht ernst genommen. Es war mehr die Frage, ob ich fähig war, solch eine Rolle auszufüllen; es war ein Üben von Verantwortungübernehmen, von Erwachsensein. Und es gab noch zu viele andere ungeklärte Fragen in meinem Leben. Dazu gehörte die Kunst. Ich habe nach fast fünf Jahren gekündigt und bin nach Köln gegangen. Ich stand da erst ganz für mich selbst, wurde dann Gaststudent an der Fachhochschule für Kunst und darüber habe ich die Rosemarie Trockel kennengelernt. Zwischenzeitlich mußte ich Geld verdienen - mir wurde mein Diplom als zweites Staatsexamen anerkannt, ich wurde Lehrerin. Referendarzeit habe ich gemacht für Bautechnik, Mathematik und Kunst, und war eigentlich meinen Schülern immer nur eine Stunde voraus. (lacht) Ich sah auch nicht aus wie eine typische Lehrerin, hatte immer so Punkfrisuren und war eine der wenigen Frauen im Kollegium überhaupt - aber irgendwie ging es trotzdem. Und als das funktionierte, da habe ich gedacht, wenn du das kannst, dann kannste alles im Leben... Beispielsweise eine Galerie eröffnen. Über Rosemarie Trockel habe ich die Kunstszene Köln kennen gelernt: die "wilden" Maler. Rosemarie und ich fingen an, einen Diskurs zu führen, was für uns eigentlich eine Bedeutung haben könnte, wenn man sich als Künstler begreift, wo da eine Notwendigkeit lag. Wir wollten als Künstlerinnen zusammen arbeiten, damals im Kreis von Dahn, Dokoupil und den anderen - unerkannt. Wir haben das nicht nach außen getragen, weil die gerade auf einem Höhepunkt ihrer frühen Karriere waren. Es gab nur ganz wenige wirklich bedeutende Künstlerinnen zu dem Zeitpunkt, es war Anfang der achtziger Jahre ein eindeutig von Männern beherrschtes Gebiet. In Europa sowieso, in Amerika gab es einige Galeristinnen, gab es die ein oder andere Künstlerin, aber der eigentliche Markt war eindeutig Männerorientiert. Das kann man sich heute gar nicht mehr so vorstellen. Stimmt, da gabs nicht viel. Annely Juda in London... Oder Ileana Sonnabend. Aber Ileana war interessanterweise stark über ihren Mann Leo Castelli bestimmt, obwohl sie die reiche Frau war, die auch ihm alles ermöglicht hat. Daß sie als Galeristin genauso bedeutend war, das hat sich dann erst später so richtig herausgestellt. Und da komme ich nachher noch mal drauf, mit der habe ich nämlich ganz früh auch ein Interview gemacht. Für Ihr Magazin Eau de Cologne? Für meine erste Eau de Cologne. Ileana Sonnabend war eigentlich nicht dafür bekannt, daß sie sich mit "feministischen" Fragestellungen auseinander gesetzt hat. Aber als ich mit ihr sprach, war eindeutig, wie extrem schwierig es für sie war, als Frau auch nur annähernd die Aufmerksamkeit zu kriegen, die ihr ehemaliger Mann Castelli bekam. Deshalb hatte sie dann in Paris ihre Galerie aufgemacht, um da mehr Freiräume zu haben. Obwohl sie sogar die Geldgeberin war, machte sie eine ähliche Erfahrung wie viele Frauen. Sie selbst waren dann auch künstlerisch tätig. Zunächst wollte ich zusammen mit Rosemarie Kunst machen, aber ich fand sie soviel besser als mich. Daher kam ich auf die Idee, sie zu unterstützen, in dem ich eine Galerie eröffne - das war im Sommer 1982. Ich hatte schon eine Reihe von Erfahrungen im Beruf und auch sonst im Leben gesammelt, und dachte, das versuchst Du jetzt und wenn es nicht funktioniert innerhalb von zwei Jahren, hörst Du wieder auf. Zwei Jahre? Ich dachte, zwei Jahre ist eine gute Zeit. Das ging einher mit vielen Erfahrungen und auch Bedürfnissen, die ich hatte, und das war das erste Mal, daß ich dann etwas machte, wo ich nicht so neben mir stand, sondern was wirklich mit mir zu tun hatte. Aber ein wenig über Galerien muß man doch wissen... Ich war damals viel mit Walter Dahn und Georg Dokoupil zusammen; und Walter Dahn meinte immer, ich wäre eine gute Galeristin - wobei mir gar nicht klar war, was das war. Das lernte ich aber relativ schnell: Dahn, Dokoupil und die anderen waren da gerade sehr in der internationalen Diskussion, und bedeutende Galerien wie Antony D'Offay, Bruno Bischoffberger, Helen van der Mey waren interessiert. Das habe ich dann beobachet. Ich wußte auch nicht, was der Kunstmarkt eigentlich ist, ich hatte ja nie in einer Galerie gearbeitet. Ich hatte davon überhaupt keine Ahnung. Null Ahnung. Das einzige, was ich wußte - aus meiner Sicht als verhinderte Künstlerin - war, was in der Kunst interessant sein könnte. Und für mich als Frau war klar, daß da historisch etwas überfällig war, was in diesem Augenblick diskutiert werden mußte. Das hatten Rosemarie und ich ziemlich genau für uns herausgearbeitet. Und wir waren in unserer Analyse sehr präzise, wie sich später zeigen sollte. Das haben wir natürlich so nicht ausgesprochen, weil es auch gar nicht auszusprechen war, das war einfach so ein Drang, daß es irgendwie realisiert werden mußte. Wir waren uns einig, daß wir genau so frei sein wollten, wie die Männer; daß wir uns nicht unsere Energien klauen lassen durch Beziehungen, oder irgendwelche Dinge tun, um der männlichen Welt zu gefallen. Daß wir etwas tun, weil es zu diesem Zeitpunkt eine Notwendigkeit hat. Als wir in der nächsten Generation von Frauen im Kunstbetrieb diese alten Strukturen wieder sahen, waren wir schon erschrocken. Okay, das kann einem natürlich passieren wie der Katharine Hepburn, die ja gesagt hatte: "Heiraten? Warum soll ich die Bewunderung aller Männer für die Kritik eines einzigen aufgeben?" Und dann lebt sie mit so einen trinkenden Macho wie Spencer Tracey zusammen... Der sie ja vorallem nicht heiraten konnte, weil seine Ehefrau aus religiösen Gründen nicht in die Scheidung einwilligte. Ja völlig absurd. Aber genau das passiert dann. Daß man sich ganz vorne wähnt und dann so was. Jedenfalls habe ich mich dann nach interessanten Frauen umgeguckt. Ich kriegte Kontakt zu Cindy Sherman - die kurz davor war, ihre ersten Filmstills öffentlich zu zeigen; Jenny Holzer hatte gerade ihr Times Square Projekt realisiert; dann Barbara Kruger, natürlich Rosemarie Trockel und damals - in der Malerei - Ina Barfuss - die ich heute leider nicht mehr ausstelle. Durch meine Studentenzeit war mir die Frauenbewegung natürlich sehr bewußt und auch deren Fehler. Ich habe dann dieses wesentliche Anliegen der zukünftigen Galerie nicht gleich in den Mittelpunkt gestellt. Weil ich auch instinktiv die Strukturen in Deutschland ahnte. Da hätte ich mich extrem angreifbar gemacht. Und es ist ja auch nicht so, daß ich denke, daß nur Frauen gute Kunst machen würden. Das heisst, Sie hätten sich an einer Stelle angreifbar gemacht, um die es gar nicht geht, wo gar nicht über Inhalte gesprochen worden wäre. Ja, genau. Und es war ja Anfang der achtziger Jahre so, daß in der Frauenbewegung und gerade auch in der Kunst, so was Selbstmitleidendes, und immer wieder die Opferrolle der Frau in der Gesellschaft thematisiert wurde. Für mich war völlig klar, daß man die Stärken in den Vordergrund stellen muß und die Kraft. Die Kunst ist ja extrem - und extremst die Malerei - männlich besetzt. Das wissen alle. Und deshalb haben sich die Frauen, wie die Jenny Holzer, die ja auch von der Malerei kam, dann dieses technische Medium der elektronischen Laufschriften genommen, wo sie bis heute unübertroffen ist, weil es schwierig ist, mit dieser ganzen Technologie gute Kunst zu machen. Dann das technisches Medium der Fotografie, da war die Cindy Sherman eine Vorreiterin. Oder Barbara Kruger, die Typografie, Werbegrafik und Drucktechnik benutzt. Ja, diese Frauen haben sich präzise diese Medien angeeignet. Und Sie haben Ihnen die Öffentlichkeit geschaffen. Es war einfach eine Notwendigkeit. Wenn ich gefragt werde, wie hast Du das gemacht, all diese bekannten Namen auszustellen? - es gab keine andere Möglichkeit. Ich habe das nicht als große Leistung empfunden, weil das auch Teil meines Lebens oder der Art und Weise war, wie ich mit Leben umgegangen bin. Daß ich versucht habe, die Situation, in der die Gesellschaft in dem Augenblick war, zu analysieren. Und da war klar, daß Leistungen von Frauen vollbracht worden sind, die nicht sichtbar waren und erst recht keinen Markt hatten. Daß es nicht nur Frauen gab, war mir auch klar. Natürlich gab es so ein paar interessante Künstler, die damals so eine Außenseiterposition hatten, die keiner gezeigt hat. Das war der Andreas Schulze und Fischli und Weiss, die damals gerade ihre erste Ausstellung gemacht hatten. Die habe ich im Sommer 82 kennengelernt. Und mit ihnen geklärt, daß die in meiner demnächst zu öffnenden Galerie eine Ausstellung machen. Ihre erste Ausstellung war im Februar 1983. Und als erster Besucher kam der Galerist Michael Werner - ich weiß nicht warum, nenn" es Glück oder was. Nicht, daß ich damals bekannt gewesen wäre. Dann kam der Sammler Ludwig, und der hat gleich eine Skulptur gekauft. Meine Galerie lag im dritten Stock ohne Aufzug, trotzdem machte er sich auf den Weg nach oben. Auch Ilena Sonnabend machte sich die Mühe. Und Paul Maenz - der hatte mir auch seine Adressenkartei zur Verfügung gestellt. Maenz schloß nach den Achzigern seine Galerie. Der hatte in dem Augenblick aufgehört, als der Kunstmarkt ein bißchen zusammenbrach. Der war ja ein guter Galerist und hatte sehr gute Künstler. Die "Mülheimer Freiheit" hatte er mit hochgebracht oder Keith Haring - und das entsprach auch seinem Lebensstil. Ihm waren seine Eröffnungen sehr wichtig, wie er sich dort präsentierte. Mir war diese Art von Öffentlichkeit nie angenehm, ich hielt mich immer lieber versteckt. Jedenfalls hatte er die Konsequenz gezogen und aufgehört. Es ist nicht einfach, seine Motivation als Galerist über eine lange Zeit aufrecht zu erhalten. Man muß schon sein eigenes Ego sehr zurückstellen können. Und auf der anderen Seite ist der Kunstmarkt auch ein sehr schwieriges Gefüge. Ein wirklich guter Galerist muß aber in schwierigen Zeiten erst recht durchhalten. Paul Maenz hatte Ende der 80er Jahre ja schon viele Höhen und Tiefen durchgemacht. Ich kann mir nicht vorstellen, meine Galerie zu schliessen, bevor nicht alles erreicht ist, was ich als Galerist erreichen sollte, und beispielsweise Künstler auf dem halben Weg ihrer Karriere stehen zu lassen. Das ist auch der Grund, warum ich mit meiner Kollegin Philomene Magers und meinem Kollegen Simon Lee die Galerien in München und London eröffnet habe; auch mein Mann Pasquale Leccese, der eine Galerie für zeitgenössische Kunst in Mailand führt, hat mein Programm immer unterstützt. Wenn die Künstler immer bekannter und einflußreicher werden, muß die Galerie natürlich mit ihnen wachsen und ihnen auch andere Foren bieten. Das ist nicht immer einfach. Und eigentlich kann man sich eine super Galerie mit Familie nicht leisten. Das ist ein Widerspruch. Man ist im internationalen Geschäft und müßte dauernd unterwegs sein. Und das bin ich eben wegen meiner Kinder nicht. Ich habe sie aber nie mit in die Galerie genommen, habe meine verschiedenen Arbeits-und Lebensbereiche ganz klar getrennt. Familie und Galerie unter einen Hut zu bringen und beiden gerecht zu werden, war die letzten 15 Jahre ein schwieriges Unterfangen. Mit dem Wachsen der Galerie war ich zunehmend gezwungen, eine andere Struktur zu finden. So ergab sich, daß die immer schon existierende Zusammenarbeit mit Philomene Magers intensiviert wurde. Philomene und ich haben das gleiche Verständnis von Kunst und auch davon, wie eine Galerie geführt werden sollte. Die Mutter von Philomene Magers war natürlich auch eine berühmte Galeristin. Ja ja, die war sehr gut. Aber sie ist andererseits nie das letzte Risiko eingegangen. Und sie hat ja tolle Künstler gezeigt - beispielsweise den frühen Beuys, die hatte auch alle Künstler, die ich ausgestellt habe, wahrgenommen, aber sich nicht getraut, so was dann auch programmatisch anzugehen. Sondern sich wirklich dann als Frau mehr in einer kleineren Galerie und eben in Bonn zurückgehalten. Das hätte ich nie gemacht. Wenn dann schon richtig, auch wenn meine Galerie nicht groß war ... ... Offensiv und international platziert. Ja, ein internationales Programm zu haben, war sehr wichtig. Ich bekam häufig Besuch von älteren Kollegen, der Herr Stünke von der Galerie Der Spiegel kam oft und gab mir Tips: unter anderem sagte er, man müsse sich gleich ins internationale Geschäft begeben, man dürfe nicht nur regional handeln - was er selbst übrigens gar nicht so sehr getan hatte. Vielleicht spürten die, daß ich da keine Angst vor hatte. Ihr Magazin Eau de Cologne haben sie dann zweisprachig - deutsch-englisch - angelegt. Eau de Cologne waren drei Ausstellungen zur Art Cologne 1985, "87 und "89 wo ich nur Frauen gezeigt habe und dazu eben die Zeitung. Die ersten beiden habe ich alleine gemacht, deswegen sind auch so viele Rechtschreibefehler drin (lacht). Im ersten Heft wollte ich so die stärksten Frauen zeigen: Kuratorinnen, Künstlerinnen, Musikerinnen... Und dann wollte ich Fotos von dem Werk aber auch von all diesen Frauen. Ich wollte, daß man die sieht, daß man sieht, wie gut die aussehen (lacht). Im zweiten Heft ging es dann um inhaltliche, auch historische Fragen: Sophie Täuber-Arp, Meret Oppenheim, Louise Bourgois, Eva Hesse, die russischen Konstruktivistinnen. Und das letzte Heft machte ich mit zwei Frauen, die etwas jünger waren als ich und ein anderes Verständnis von Feminismus in die Diskussion brachten: Jutta Koether und Isabell Graw, die ja heute als Herausgeberin der Texte zur Kunst bekannt ist. Übrigens war das Vorbild von Eau de Cologne auch Interview - wie jetzt bei Alert. Wie sehen Sie das Selbstverständnis einer Galerie? Also man muß natürlich Kunst verkaufen können - im Interesse der Künstler. Ein guter Kaufmann zu sein, ist sicher eine Möglichkeit, eine Galerie zu führen. Leider war das nie mein großes Talent. Aber die andere Seite, die Vermittlung von Kunst, liegt mir schon sehr. Was ich konnte, war offensichtlich die richtige Kunst zum richtigen Zeitpunkt auszuwählen, das heißt, die Kunst die heute kulturell eine Bedeutung haben könnte, zu definieren. Daß dies über all die Jahre auch die Kunst sein könnte, die sich am besten verkauft oder die höchsten Preise erzielt, darüber habe ich nie nachgedacht. Mir war immer wichtig, an meiner Behauptung, an meiner Vision von Kunst festzuhalten. mein Sternzeichen ist Stier, die sollen ja sehr stur sein - das war mein Glück! Denn ich hatte nie damit gerechnet, auch kommerziell erfolgreich zu sein, sogar vielleicht erfolgreicher als die besten Verkäufer. Ich glaube, die Idee und Vision von Kunst, ist das Wichtigste in einer Galerie. Aber ich bin trotzdem froh, daß Philomene Magers in München und Simon Lee in London diese Vision mit mir teilen, und auch noch bessere Verkäufer als ich sind. Sie stellen ja in erster Linie Künstler Ihrer Generation aus. Ein paar jüngere sind auch dabei, aber auch ein paar ältere. Ja, der Gedanke dabei war, einen Schritt zurückzugehen. Den Richard Prince kenne ich gut, und hätte ich immer gerne ausgestellt. Das hat leider nie geklappt. Aber darüber habe ich den John Baldessari nochmals genauer wahrgenommen - eigentlich ja ein Siebziger Jahre Künstler, der aber nicht so bekannt war. Baldessari war einer der ersten, der Fotografie und die Kino-Medienwelt zur Bildfindung benutzt hat. Oder Vito Acconci, der in den Siebziger Jahren in seinen Videos seine Selbsterfahrung in einer Radikalität darstellt, die bis heute unübertroffen ist. Also es sind so radikale Momente, die uns beim Zurückgehen interessieren; wie auch bei Ed Rucha, Donald Judd oder Richard Artschwager. Mit Andreas Gursky arbeiten sie auch schon im zwölften Jahr zusammen. Ja. Ich hatte bereits 1985 gemeinsam mit Wilhelm Schürmann und Wilfried Dickhoff eine Ausstellung zur Malerei gemacht "Das Licht von der anderen Seite". Eine meiner wichtigsten Ausstellungen in der Auseinandersetzung mit Fotografie. Die hatte kaum jemand wahrgenommen. Da fehlten zwar die Becher-Schüler, aber es hat sich herauskristallisiert, was mich an Fototgrafie interessiert, nämlich der Diskurs mit der Malerei. Und da ist meiner Meinung nach Andreas Gursky der Beste. Er ist in der Lage zu den unglaublichsten Bildfindungen, wobei die Fotografie gar nicht die wesentliche Rolle spielt. Aber Andreas Gursky ist als Künstler in unserer Zeit ein besonderes Phänomen, wo ich gefordert wurde, an einem Punkt, der mich ursprünglich nicht sonderlich interessierte, und wo ich auch keine Ahnung hatte: wie funktioniert der Kunstmarkt, wie ist er beeinflußbar? Das ist dann eine Herausforderung, die mir an so einem Fall wirklich Spaß macht. Wie schafft man es bei einem Künstler, mit dem so spekuliert wird, den Markt stabil zu halten. Das kann man alleine gar nicht, da braucht man gute Partner - er stellt ja mit Matthew Marks in New York aus, und mit denen ist eine gute Kooperation möglich. Wie schafft man es, die Diskrepanz zwischen den sogenannten primary market Preisen und den secondary market Preisen oder Auktionspreisen umzugehen, ohne daß es der Karriere des Künstlers schadet. Da die richtigen Strategien zu entwickeln, war sehr interessant für mich. Hier wurde auch die Notwendigkeit, die Galerei in London zu eröffnen, deutlich: nämlich Künstler der sogenannten mittleren Generation zu wirklich bedeutenden Künstlern zu machen; das heißt, daß die Preise stabil bleiben, erfordert, daß man international mehr Einfluß und Kontrolle auf dem Kunstmarkt ausübt. Können Sie Ihre Strategien bezüglich des Marktes erläutern? Ich war immer vorsichtig, an wen ich verkauft habe. Und von Künstlern, die sehr viel produziert haben, habe ich nie so wahnsinnig viel angeboten. Ob das immer so eine gute Strategie ist, weiß ich nicht; man könnte mir vorwerfen, daß es Situationen gegeben hätte, wo Künstler sehr viel mehr hätten verkaufen können. Und ich habe es nicht gemacht, vielleicht auch aus Unfähigkeit. Die Idee ist natürlich, daß Galerie und Künstler nicht alles verkaufen, sodaß man für Museen und bedeutende Sammlungen noch wesentliche Arbeiten hat, und sie nicht teuer zurückkaufen muß, um sie an für den Künstler wichtigen Orten zu platzieren. Man hat so die Möglichkeit, Museen die Arbeiten für einen von uns bestimmten günstigen Preis anzubieten. Besonders wenn so extrem mit den Werken eines Künstlers spekuliert wird wie bei Andreas Gursky. Unter solchen Bedingungen sind auch Restriktionen, denen der Käufer unterliegt, notwendig. Auch die Frage, welche Arbeiten werden zum Verkauf angeboten. Und natürlich: keinen Druck auf den Künstler auszuüben, schneller zu produzieren. Die meisten, über die wir reden, haben das Problem so extrem nicht. Es ist zwar schön, erfolgreich zu sein, aber der damit verbundene Druck ist nicht zu unterschätzen. Der Erfolg kann - besonders durch den amerikanischen Markt, der viel spontaner als der europäische agiert - so plötzlich kommen, daß man sich Ruhe nehmen muß, und den Umgang mit dieser neuen Situation lernen. Die wesentliche Fähigkeit, die man haben muß als Galerist, ist wirklich in der Lage sein, Service für den Künstler zu bieten, ihn zu unterstützen. Nicht sich selbst im Vordergrund zu sehen, was für ein toller Hecht man ist. Man muß die Arbeit des Künstlers schätzen und sich auch unterordnen können. In letzter Zeit habe ich etwas ein schlechtes Gewissen, weil es in meiner Galerie einige Künstler gibt, die ich für sehr wichtig halte, die aber nicht ganz so erfolgreich sind wie Sherman, Trockel oder Gursky. Ich habe das Gefühl, daß ich da nicht ausreichend Zeit investiere. Aber ich bin froh, daß ich da noch eine Aufgabe zu lösen habe. Das hält mich motiviert. Lesen Sie über Kunst? Sehr wenig. Was ich aber in Ordnung finde, weil ich da einfach auch viel Schrott gelesen habe. Leider ist ein Kunstgeschichtsstudium in den wenigsten Fällen das, was einem die Chance gibt, zeitgenössische Kunst zu verstehen. Und es wird sehr traditionell und ikonografisch vorgegangen. Aber das ist nicht das, was einem umbedingt das Verständnis für die gegenwärtige Kunst bringt. Es gab ja schon alles, und die Frage ist immer wieder ganz wesentlich, ob Kultur noch eine Bedeutung hat und wo sie noch eine Bedeutung hat in unserer wahnsinnig veränderten und vielfältigen Gesellschaft. Da kann man mit den Kriterien des Kunstgeschichtsstudiums der Sache wenig nahe kommen. Da ich politisch ja aus der sogenannten linken Ecke komme und mich da immer noch zuhause fühle, komme ich manchmal in große Widersprüche. Ohne Kultur ist die Menschheit undenkbar. Ich sehe natürlich diese enormen ökonomischen Ungerechtigkeiten in der Welt, die auch zu beheben sind. Wobei klar ist, daß das nicht einfach ist und für die Systeme, die ich auch mal für die richtigen gehalten habe, vielleicht nicht möglich. Aber meine Überzeugung ist, daß die Verteilung auf der Welt anders zu laufen hat. Ich muß für mich dann immer wieder überprüfen, ob ein Kunstwerk es wert ist, dafür eine Unsumme Geld auszugeben; also, wie das eigentlich zu rechtfertigen ist... So einfach ist das jetzt aber doch nicht, zu kochen und sich gleichzeitig auf das Gespräch zu konzentrieren... Sie machen kein Tai Chi oder so etwas? Nein, ich mache überhaupt nichts. Rosemarie Trockel meinte neulich, wir sollten uns zu mehreren einen personal trainer leisten. Aber ich glaube, wenn, brauche ich einen alleine, der sich nur auf meine Probleme konzentriert, oder? Meinen Sie, ich müßte etwas in die Richtung machen? Ich dachte nur, bei all Ihrer Arbeit.... Um einen klaren Kopf zu behalten. Um sich zu entspannen. Gut, daß Sie nicht vor ein paar Jahren mit mir gesprochen haben. Ich bin jetzt schon viel entspannter. Früher hatte ich jede Nacht von meinen finanziellen Problemen geträumt. Und es ist schon so, eine gute Galerie kannst du nur dann führen, wenn du finanziell ein bißchen Möglichkeiten hast. Sonst ist das ungeheurer Stress. Du mußt dir dauernd genau überlegen, wie du die Balance kriegst, ohne Geld. Mit Künstlern, die eigentlich sehr teuer sind, wie du damit jonglierst. Seit dem das jetzt mit dem Verkauf einfacher ist, und ich das ein bißchen delegiert habe an meine Partner, seit dem bin ich relaxter. Ich habe auch ein Haus, eine Gruppe von sogenannten Trullis - in Apulien in Süditalien, wo mein Mann herkommt - da kann ich wunderbar entspannen. In der Galerie fühle ich mich für die inhaltlichen Fragen zuständig oder die großen strategischen Fragen und kann mich immer auch mal meinen anderen Vorlieben, wie eben Fußball, widmen. Nicht, daß ich das tue, in dem Maße, wie ich gerne würde. Aber die Idee ist, daß ich es könnte - deswegen brauche ich vielleicht kein Tai Chi oder so, weil: das mache ich dann einfach. 08 2003, erschienen in Alert #13, mit Fotografien von Thea Djordjadze ... top. Helge Schneider, Gespräch 12 2003
Komissar Schneider ist eine brutale Sau, vergisst das aber immer gleich wieder. Schneider, der Jazzmusiker, hingegen ist nett zu alten Freunden und verkauft in seinem neuen Film Aale in Mühlheim an der Ruhr. (....)
12 2003, erschienen in Alert #14, Interview gemeinsam mit Max Dax ... top. Thomas Schütte. Jammern auf höchstem Niveau. Gespräch 08 2004
(....) Thomas Schütte einer der erfolgreichsten und wichtigsten zeitgenössischen Bildhauer. Entwirft Architekturmodelle, deren äusserliche Nettigkeit er durch die Bezeichnung in eine beobachtete Bösartigkeit umschlagen läßt, stellt sich in die jahrtausendalte Geschichte der Auseinandersetzung mit der menschlichen Figur - und lässt seine Skulpturen kippen vom Humorvollen oder Erotischen ins plötzlich Lächerliche, dann Bedrohliche. Cinemanisch - was man in seinen szenischen Installationen entdecken kann. Figur und Grund, Figur und Sockel, wird am Trafalgar Square 2006 sein Hotel for Birds errichten. Kirschendenkmal, Flüchtlingsabschiebung, Porzellan-Nippes, Gedenkstätte für die Opfer des Nationalsozialismus und ein Raum im KZ Neuengamme. Aber dann geht es genau wieder um die Oberfläche, um das Material und das Handwerk. Disziplin und Strenge, Beschwörungen, die Couch und die Geister schrecken auf aus dem Schlaf der Vernunft. Und ein toller Zeichner übrigens auch. Vielleicht möchten Sie sich kurz vorstellen. Thomas Schütte, lebt noch. Lebt noch in Düsseldorf, 50 Jahre alt. Mehr muß man dazu gar nicht sagen. Vielleicht könnten Sie doch ein bisschen mehr dazu sagen, vielleicht, wie Sie zur Kunst gekommen sind. Mit dem Bus. Hahaha. Aber eigentlich wollte ich immer Schlagzeuger werden - die erste Platte, die ich mir gekauft hatte, war Ginger Baker"s Airforce. Aber da ich aus einer großen Familie komme, hat man mir das verwehrt. Ich hätte es wahrscheinlich körperlich auch gar nicht durchgestanden. Dann wollte ich Tontechniker werden. Dafür hätte ich aber eine musikalische Ausbildung gebraucht - und heute würde ich bei der Sportschau die Südkurve gegen die Nordkurve ausspielen. Und dann wollte ich an die Filmhochschule - hatte auch "ne Kamera, und der deutsche Film Anfang der 70er war ja Weltklasse. Da wurde mir erzählt, ich bräuchte "ne Berufsausbildung und eine soziale Kompetenz, das sei eine Industrie und ohne Geld geht nix. Diese Autorenfilmer seien zwar die Aushängeschilder, aber Einzelgänger wollten sie schon gar nicht. So habe ich mich mit zwanzig Zeichnungen an der Kunstakademie Düsseldorf beworben, bin in den Urlaub, und als ich zurückkam, war ich aufgenommen. Das war ein Glücksfall. Und ohne jede Prüfung - ich hatte ja 1973 schon Abitursprüfung, beim Zivildienst Gewissensprüfung... Und Führerscheinprüfung... Ja, genau, habe ich bis heute nicht gemacht, weil ich es abgelehnt habe, noch "ne Prüfung zu machen. Kunst war neben Theologie das letzte adlige Studium. Das macht man für sich selber - ohne Aufnahmeprüfung, ohne Scheine, ohne Diplom, ohne Abschluss. Ich hasse Prüfungen. Kunst, weil Sie dachten, da hätten Sie auch Freiraum zum Trommeln, vielleicht? Nein getrommelt habe ich bis heute nie, auch nie gefilmt. Vom Studium hatte ich keine Vorstellung. Das Schlüsselerlebnis war die Documenta V, von Harald Szeemann kuratiert, 1972, auf die sich immer noch alle beziehen. Die hatte ich erst mit der Schule gesehen und dann mit meiner Freundin. Aus dem Stand wurden da Dinge behauptet, die sich gehalten haben. Das ist bis heute die ungeschlagene Documenta, die einzige mit einer höheren Trefferquote. Wo sich das schwierige Zeugs durchsetzte, die "Kunst der Irren", Daniel Buren, Minimal-Art, Fotorealismus, auch die Pop Art. Beuys saß das ganze halbe Jahr dort - und bekam so eine politische Macht, dass er ein halbes Jahr später ja vom damaligen Minister Johannes Rau aus seiner Düsseldorfer Professur rausgeschmissen wurde. Jedenfalls dachte ich, in der Kunst ist Platz für jeden - für die Blumenmaler, für die Tapezierer und für die, die gar nichts machen oder nur Steine hinlegen. Sie haben bei Fritz Schwegler und bei Gerhard Richter studiert. Im Orientierungsbereich bei Schwegler. Danach bei Richter Fotos abgemalt, und es sofort sein gelassen, als ich merkte, wie einfach das ist. Die richtig guten Klassen der Akademie hatten Aussenabteilungen - ohne Hausmeister. Wir alle hatten einen Schlüssel und auch das Recht, die Räume einzurichten: die Spinde da hin, da die Staffeleien, keine Vorhänge. Wir gingen Tag und Nacht ein- und aus. Geheizte Räume mit Licht, alles offen, Auseinandersetzung mit den anderen - das erreicht man sein Lebtag nicht mehr, das kann man gar nicht bezahlen. Diese Hühnerställe, jeder gegen jeden, das kam erst später. Also keiner dachte an Egotrips oder Karriere? Kein Gedanke. Es gab kein Geld, Bücher, ohne Farbe - schauen Sie sich alte Zeitungen an, alles hektografiert. Die Professoren kamen eineinhalb Stunden in der Woche - ohne uns auf die Nerven zu gehen, den Rest der Zeit sollten wir bitteschön arbeiten, das war kein Rhetorikkurs, sondern Studium: Denken-Machen-Tun. Das beste Publikum waren die anderen, das ist nicht zu unterschätzen. Damals war das wie verschiedene Handballclubs - die einen haben Ecken abgemalt, die anderen Hölzer lackiert. Es war kein Schulunterricht und auch keine Vereinzelung. Und den jährlichen Rundgang haben wir für uns gemacht. Nicht für die Eltern. Oder für die Galeristen. Auf die Idee ist überhaupt keiner gekommen. Damals konnte man noch von vierhundert Mark im Monat leben. Man hatte keine Krankenversicherung, man brauchte kein Telefon, man hatte ja Telepathie - man wußte, wann der oder der um die Ecke kommt... Die Freundschaften sind heute vielleicht etwas auseinander gegangen - alle haben ganz viel zu tun, viele haben auch gar nichts zu tun - aber es ist doch eine ganze Truppe übrig geblieben, deren Entwicklung man bis heute mitverfolgt. Was noch ganz wichtig war, ich wollte nie lehren. Diese Generation nach Willy Brandt wollte ja alles besser machen, alle meine Freunde haben Lehramt studiert - dann fielen einige unter den Radikalenerlass, dann gab es einen Einstellungstop - jedenfalls keinen haben sie genommen. Ich habe jeden Tag für mich gearbeitet, bin jede Nacht ins Kino gegangen, war jahrzehntelang alleine. Trotz der anderen Studenten? Ich meine: beziehungsunfähig. Die anderen irgendwie auch. Wir zogen wohl das Arbeiten dem Beziehungsstress vor. Aber es gab auch an jeder Ecke eine Wasserstelle, nicht nur die Akademie, sondern Ratinger Hof, Uel, später Op de Eck - da hatte immer eine Truppe Hausrecht. Jede hatte so ihre Orte. Oder im Kino: wir immer Reihe fünf. Statt zuhause rumzusitzen bin ich ins Kino, Ticket, zwei Bier - das war billiger als heizen. Dadurch habe ich einige tausend Filme gesehen. Und wie waren die jungen Professoren? Einfach Spitze. Ohne Pathos, ohne Dünkel, einfach kollegial. Einladungskarten mitgebracht, Kameras verliehen, Bücher hingelegt, also eins-zu-eins informiert. Auch ihre Kollegen mitgebracht. Da kam dann dauernd Daniel Buren in die Klasse oder Lawrence Wiener; Richard Serra saß in der Kneipe rum - das war ganz normal. Und das Grundgerüst, uns allen eine gemeinsame Sprache zu geben - dafür war Benjamin Buchloh zuständig, heute der Theoretiker in Amerika. Er hatte einen Lehrauftrag und im Grunde nichts anderes gemacht, als das Artforum abzufotografieren - nur war das da noch eine Künstlerzeitung, kein Modemagazin - also Information aus erster Hand - Donald Judd, Jenny Holzer, Michael Asher... ganz brühwarm. Buchloh hat uns eine gemeinsame Plattform verschafft und Haltung und Stil - deswegen laufen die Leute auch heute noch alle ziemlich ähnlich rum. Und das hat diese Schlagkraft ermöglicht - dadurch dass es diese Verbindlichkeiten gab und eine gemeinsame Aufgabe: also jetzt sind DIE die Helden, mit denen kann man auch ein Bier trinken,aber was machen WIR denn - und jeder hat einen Ausweg gefunden. Und das Zentrum, die beste Akademie weltweit, war eben Düsseldorf. In und out, das gab"s damals nicht - da hat keiner einen Gedanken dran verschwendet an diesen Zierrat. Wichtig auch für die Musikszene? Also die Punkies später hatten mehr oder weniger alle ihre ersten Auftritte auf Akademiefesten. Aber Kunststudenten waren die ja nicht, die waren auch jünger. Wir Studenten hatten ja alle "was Geld - zumindest für"n Bier und Eintritt. Also dieses Buch "Verschwende Deine Jugend", das ist ja grottig,, und das bildet ein völlig beknacktes Bild ab vom Saufen und Raufen. Da gibts eben keinen Lehrlauf, nur Action... Ja, so wie "Opa erzählt vom Krieg". Natürlich hatte ich ziemlich viele Konzerte gesehen. Das war aber doch sehr beschränkt, langweilig. Also DAF war das Beste, die wollten es richtig machen, professionell - die haben alle an die Wand gespielt, die anderen waren so Amateure. Wir alle waren ja im Publikum, aber mit "ner Distanz: die meisten von uns waren schon mal gereist, also jetzt London, New York, und haben da die eigentlichen Quellen mitgekriegt, Punk, New Wave. Insofern war das hier nicht so wichtig. Ein Freund von mir meinte, "Verschwende Deine Rente". Es sind doch nur die Opas, die Geld verdienen in der Musikindustrie. Die Väter geben das Geld aus, kaufen Cds. Die Jugend ist so Hühnerfutter - rein raus, total egal. Und wie sind Sie dann aus der Akademie rausgekommen? Das Komische ist, ich habe sofort Stipendien und Kunstförderungen gekriegt und dann Ausstellungen - auch große richtig gefährliche Preise... Jürgen-Ponto... Jürgen-Ponto-Stiftung. Genau, war ich der erste. Und tierische Schwierigkeiten gekriegt mit den Polit-Leuten... Aber wirklich, mit 24, 25 sind wir richtig rumgereicht worden, haben ausgestellt, allerdings nichts verkauft... Zum Beispiel diese riesige Ausstellung "Westkunst" in der Kölner Messe. Ich bin natürlich total baden gegangen, denn die Aufmerksamkeit lag auf den Wilden Malern: Das war der Gegner, die haben damals unheimlich viel Geld verdient, alles versoffen, alles weg - später. Bei der Eröffnung saß selbst unser Galerist bei den Italienern auf"m Schoß - also Clemente, Ghia, Gucchi, wir hingen wie die Penner in der Ecke rum und durften uns unser Bier selbst holen. Wir waren dabei, aber es hat niemanden interessiert. Sie wurden damals mit Klingelhöller und Mucha, aus der Minimal-Art kommend, als "Die Modellbauer" bezeichnet. Ich hatte dort die ersten Modelle gezeigt - ein Jahr lang dran gearbeitet. Jetzt im Nachhinein als Überlebender muss ich natürlich schmunzeln - diese Modelle gibts immer noch und mich auch. Aber dieser frühe, verdrehte Erfolg - weil das war ja nicht mit Geld verbunden, nicht mal mit Akzeptanz. Das war eine sehr harte Erziehung, die haben uns genauso angepackt wie Erwachsene, das war richtig rabiat. Ich hatte da massive Krisen, nicht durch Misserfolg, sondern durch diesen komischen Erfolg. Also du stellst aus vor zweihundertfünfzigtausend Leuten, aber keiner guckt hin, keiner berichtet, keiner macht ein Foto. Und zuhause hast du kein Geld für fünf Liter Öl, um das Zimmer mal über zehn Grad warm zu kriegen. Die Akademiezeit war gemütlicher. Ja, die wurde gesponsort von Bafög. Aber wenn man dann richtig arbeitet, kostet das ja auch Geld. Diese Anfangszeiten nach der Akademie habe ich in sehr schlechter Erinnerung , zwar irrsinnig produktiv und fleissig - ich hatte das neulich gesichtet, ich hatte alle zwei Wochen eine Eröffnung - da gebastelt, ratz-fatz, und das ist alles in den Galerien geblieben, das hatte keiner weggeschmissen, aber Geld war knapp, eine ewige Krise. In dieser Zeit wollten Sie es aber nie hinschmeissen. Der Tod stand leibhaftig vor der Tür, der Selbstmord auch. Ich hatte schwere psychische Krisen, Ängste. Habe den Alkohol und die Lacke so schlecht vertragen, dass ich mehrmals komplett zusammengebrochen bin und dann in geschlossenen und offenen Abteilungen untergebracht war. Immerhin lassen sie dort Künstler doch so in Ruhe, dass die schadlos daraus hervorgehen können. Ich habe eine richtige Karriere in der Psychiatrie gehabt. Das tut heute nicht mehr weh, ausser dass ich ziemlich auf dem Teppich bleibe, egal was passiert - also Drogen, Exzesse fand ich immer albern. Die Lichter haben ganz schön geflackert damals. Ein paar Jahre später konnten Sie von Ihrer Kunst leben. Wie der Bogen nach heute geht, weiss ich gar nicht - ausser dass es immer noch Spass macht. Und dass aus jedem Projekt "was rauskommt - also die Fähigkeit, aus dem Fenster zu fallen, aber immer auf die Füsse. Wie eine Katze. "Mission Impossible" - da, wo alle die Augen verdrehen, da wo nichts mehr geht, da kann ich durch die Wand - da öffnet sich irgendwo so "ne Tapetentür, irgendwie komme ich da durch. Je verbauter die Situation wird, das merke ich spätestens beim Installieren, desto spannender wird"s auch. Im Moment suche ich neue Rollen oder Projekte, also die Frauen und die Geister und die Architektur, das rollt jetzt so langsam aus, die Kicks muß ich mir immer noch selbst suchen - was kann ich mal machen, ohne die Produktion aus Karriere- oder Geldgründen endlos zu verlängern? Häuser bauen in Brasilien. Sie gehen mit Ihren Arbeiten ja nie auf Nummer Sicher, sie wechseln Material, Technik und experimentieren gegen bis dahin gültige Regeln. Oder einige Ihrer Keramikarbeiten balancieren gefährlich zwischen Kitsch und Kunst. Haben Sie da keine Angst auch mal abzurutschen? Wenn das nicht spannend ist - Spannung heisst ja, es oszilliert zwischen Minus und Plus - dann nimmt mich das nicht mit. Also Telefonanruf: "Geist Nummer 15 in Bronze, mach mir den mal einen Meter größer" - den normalen Warenhandel, das kann ich auch, aber das interessiert mich nicht. Oder Größe - ich habe ja auch als Student nicht kleiner gearbeitet. Ich hatte früher immer viele Ängste, Verfolgungswahn, alles mögliche, richtig massiv - wie jeder wahrscheinlich, der zu viel trinkt - aber in der Kunst nie. Es gibt Dinge, die müssen eben gemacht werden, und da habe ich auch keine Angst. Und keine Kicks von aussen? Ich höre relativ wenig. Trotz dieser Riesenausstellung jetzt im K21. Da tut sich nichts. Da schreibt mal "ne englische Zeitung "ne Doppelseite, mit ein paar Argumenten dafür oder dagegen. Aber von einer Diskussion oder Debatte krieg ich nichts mit. Das mag jetzt klingen, wie Jammern auf höchstem Niveau - aber es ist T.o.t.e.n.s.t.i.l.l.e.! Hier klingelt jetzt seit 2 Stunden nicht das Telefon. Und manchmal nicht in 48 Stunden. Vielleicht haben die Angst. Dabei stehen Sie im Telefonbuch. Ja, das ist eine ganz merkwürdige Diskrepanz, zu wissen, man liegt vorne, hört aber nichts. Nicht einmal die besten Freunde setzen sich hin und schreiben mal eine Postkarte. Die sagen nur immer: Joo, prima, gut... Auf der anderen Seite der Markt - da wird das Zeug verscheuert, aber das ist natürlich frustrierend: Das ist wie bei Aldi, wird so durchgescannt: 150.- 200.-... ohne jeden Kommentar. Es dauert immer ein Jahr oder zwei, dann ist eine Arbeit im kleinen Kreis einigermassen akzeptiert. Die Resonanz kommt immer Jahre zu spät. Es ist ziemlich anstrengend, immer die Lokomotive zu sein, irgendwelche Projekte, irgendwelche Themen aufzugreifen, durchzusetzen, zu realisieren... Und dann Jahre später, kaum ist alles verhökert für"n Appel und "nen Ei, kommen die dann an und bieten dicke Batzen. Und ich hab nix mehr und bin ganz schön am fluchen. Keine Kiste im Keller? Nein, ich kann das ganze Zeug auch nicht aufbewahren, das muss unter die Leute. Eigentlich nur die Notizen. Blöckeweise in Kartons. Aber es gab auch Jahre, die waren für alle scheisse, da gibt"s schon einige Sachen, die hätte man nicht machen sollen. Aber jeder Handschlag ist mit Leben erfüllt. Also bei den Basteleien bin ich schon ziemlich erstaunt, dass man mit so wenig so weit kommt. Bei Ihren Basteleien? Unsere Helden, das waren die monomanischen Leute - ausser Richter, der hatte zumindest 2-3-4 Tricks drauf. Aber die anderen kannten nur einen Trick. Die haben immer dasselbe gemacht. Füruns war klar, so geht"s nicht. Es ist zwar gut, super gut - aber nicht für uns. Einmal Karomuster und dann immer karo. Nein. Man muss in Bewegung bleiben. Ich bin jetzt seit einiger Zeit am Archivieren, am Beschriften, in den Computer einzugeben, die Bibliothek zu sortieren - ich habe das Gefühl, ich bin mit meinem Nachlass beschäftigt; irgendwie schrumpft das alles auf "ne Handvoll Papier zusammen, und es ist wie ein Wunder, wenn ich so ein altes Ding von mir wieder in die Hände kriege, dass das immer noch spricht, und hält, allein technisch. Als Anfang der 90er der Kunstmarkt zusammenbrach, waren das Verdauungsstörungen Fettlebe der 80er - offizielle Propaganda des Marktes und der Regierungschefs: Konsum Konsum. Hunger nach Bildern, noch ein Museum und noch ein Museum; danach gab"s erstmal Verdauungsstörungen. Und im Moment weiss ich überhaupt nicht, wo dran gearbeitet wird. Da gibt es diesen Verhau von Texten an der Wand, Documenten und Biennalen, das schau ich mir fast gar nicht mehr an. Das ist so unübersichtlich geworden und - wie bei den Nachrichten - nur so lange wichtig, bis sie vorbei sind. Wie Screensaver. Hartz-Wusch-Sudan-Wusch-Tschetschenien-Wusch-Irak-Wusch-Goldmedaille-Wusch - und das stündlich. Und man weiss nichts. Und so funktioniert die Kunst auch. Aus den Augen aus dem Sinn - von der letzten Documenta, was bleibt da schon? Thomas Hirschhorn?! Alles andere ist ja gut gemacht, aber die ganzen Ambitionen sind nicht mehr abbildbar, auch nicht wichtig. Vergurkte Scheibenwischer - alle Klarheiten beseitigt. Unsinnlich geworden? Soweit würde ich nicht gehen. Aber so ein Gedöhns - jedes Wort, jede Geste, jeder Strich kann zehn verschiedene Sachen bedeuten. Also ich denke, dass die Jetzt-Zeit höher codiert ist als das Rokoko. Und die Denkstrukturen sind mittelalterlich - wie beim Steuerrecht, da blickt man zwei Meter nach vorne und dann gehts wieder rechtsrum linksrum rechtsrum. Nicht modern wie die neuen Städte, sondern wie so Gassen in Amsterdam - man verläuft sich, man hat nur Verwirrung im Kopf, tricky eben. Vielleicht ist Basteln jetzt das offizielle Geschäft. Aber so einfach bastelt man ja nicht. Selbst wenn manche Ihrer Arbeiten auf den ersten Blick sehr grob, sehr direkt, wie hingeworfen scheinen, sieht man doch auch, was für ein Überlegen und Können dazu gehört. Seit ich aufgehört habe zu trinken, habe ich wieder angefangen zu lesen. Da nehme ich abends dann ein Buch zu mir statt ein Bier. Gerade lese ich Michel de Montaigne - ein Vorbild von Nietzsche. Man muss nur 2 Seiten vor dem Schlafengehen lesen, da hat man nächtelang mit zu tun. Und die Nietzsche Lektüre, die hatte mich schon in meiner Jugend ruiniert, an irgendein Ideologiegebäude zu glauben. Und deswegen bastle ich. Basteln heisst: Arbeiten mit dem, was da ist, und gucken, wie weit man da kommt. Dass man eine zusätzliche Dimension reinkriegt, ist natürlich wichtig. Aber diese Extra-Dimension ist auch Glückssache. Und wenn Sie das Gefühl haben, eine Arbeit sei gescheitert, gehen Sie trotzdem mit Ihr raus? Es kommt so gut wie alles raus. Es gibt scheissiges Scheitern, und ein großes Scheitern, vor allen Leuten: Patsch! Also diese Selbstportraits, die hingen da, und ich fand sie total scheisse. Aber patsch! war das draussen, patsch! wurde das zu Geld gemacht, patsch! ist es in der Welt - ein paar Jahre später ist das allerdings wieder in Ordnung. Ich merke das erst hinterher. Scheitern auf höchstem Niveau. Ja, und seltsamerweise muss ich das heute immer noch den Museumsleuten vorsortieren, die wissen nicht, welches jetzt überhaupt und welches dann links, rechts; deswegen hängt die Latte auch so hoch, damit ich immer wieder mit erhobenem Haupt drunterher komme. Ich bin nicht soo begeistert von dem eigenen Kram, dass ich da so ewig... also ich habe mir schon ein dickes Fell zugelegt. Jedenfalls kommt eigentlich alles in die Welt, und das verwunderliche ist, für alles gibt es einen, der das aufbewahren will. Oder damit spekulieren... Und ab und zu gibt es mal grandiose Steilpässe, richtig gute Vorlagen und dann reagieren die Leute überhaupt nicht. Also im tollsten Erfolg kann man ja auch scheitern. Ausstellungen sind ja auch Prüfungen, nicht unbedingt nur Ehre. Weil sie mit Ihrer Arbeit die Position eines Einzelgängers besetzen, sich nicht einfach einer Schule zuordnen lassen? Ich war neulich wieder im K21. Wenn ich mir das mit Abstand angucke, es ist ja auch riesenhaft. Ich hätte ja aus allem, was ich mal gemacht habe - Ziegelsteine oder Häuser oder Geister - riesige Autobahnen legen können. Die ganze "Kreuzzug" Museumstour - Winterthur, Grenoble, Düsseldorf - wurde kaum richtig besprochen in der Presse. Ich glaube, das ist zu kompliziert, in Sprache zu übersetzen. Oder es ist die Angst der Schreiber, wenn es nicht einfältig genug ist. Und wenn jetzt zum Beispiel Buchloh in Amerika den großen Diskurs über sagen wir die "Großen Geister" lostreten würde, würden sie dann reagieren und vielleicht doch diese Autobahn gehen? Wenn man keinen Führerschein hat, kann man auch nicht Autobahnfahren. Hinten im Taxi. Und Katzeklo singen. Also diese Haltung ist natürlich auch ein Trick. So tun, als ob, das ist ja auch ein Spiel. Der einzige, der mir jetzt einfallen würde, mit einer ähnlichen Grundhaltung, der auch alles immer selber macht, ist Helge Schneider. der macht sein Ding, egal, was die Leute sagen. Einer der wenigen Leute, wo ich denke, der macht das schon richtig. Es ist ja auch Glücksache. Da kauft das Pompidou "was und versteht es überhaupt nicht. Stellt es in die falsche Ecke - sieht aus wie Scheisse. Das kann ja an fünf Zentimetern liegen und gar nicht mal an der Arbeit selbst. Ich bin da einfach auch abhängig von der Verpackung und Präsentation. Es ist ja eh immer nur ein Versuch, ein Vorschlag. Man kommt damit durch, und dann kommt die Frage, was kommt als nächstes. Und was kommt? Im Moment sieht das ein bisschen so aus wie eine Retro-Bewegung, weil mich eben gerade tote Künstler mehr interessieren als lebende. Das dann durch seinen postmodernen Apparat durchzuschieben und sich dann auf Dürer oder Picasso zu beziehen, das ist natürlich Quatsch. Es ist interessant, alte Formen zu benutzen, neu zu durchdenken, aber bloß nicht zu wiederholen. No footnotes. So wie Sie mit den Radierungen. So Fotozeugs hatte ich ja auch gemacht. Aber die brauchen eineinhalb Stunden für "ne Filmentwicklung, da hab ich doch schon 24 Zeichnungen gemacht. Und bevor das irgendjemand eingescannt hat, ist ja alles fertig. In der Druckerei machen wir am Tag, das war jetzt der Rekord - ich seh das ja sportlich - 18 Blätter aus dem Stand. 18 Vorlagen, und am Ende des Tages sind 18 definitve Prints, dreifarbig, abgesegnet. Aber wir sind zu viert, und Menschen sind eh besser als Maschinen. Und so zeichnen Sie. Ja, drei Stunden warten, Musik hören. Also: Kunst kann man nicht machen, man kann nur die Möglichkeiten herstellen, dass sie eintritt, diese gewisse Dimension. Und wenn man Pech hat, tritt die nicht ein. Und wenn man schlau ist, macht man nichts, bis es nicht so weit ist. Und man macht"s nicht wieder kaputt, durch zu viel tun. Ich habe für jedes Projekt einen Nachmittag. Und wenn es da nicht weiter geht, fahre ich zum nächsten, um immer den Abstand zu haben. Und diese Vielfalt ist eigentlich eine Entzerrung. Um immer frisch reinzukommen, nicht aufräumen zu müssen, das ist ja das Genialste, diese Disaster erst mal liegen zu lassen. Wie ein Simultanschachspieler. Und möglichst auf Autopilot. Dass man gar nicht lange diskutiert und redet und grübelt, sondern das einfach geht. Die Bedingungen herstellen, dass es läuft, schnörkellos, Volleyschuss, ansatzlos, verwandelt. Und Sie finden vielleicht bei einer Schachfigur eine Lösung für eine andere. Das ist richtig. Nur: ich suche nicht unbedingt nach Lösungen, ich suche erstmal nach Problemen. Das verstehen die meisten nicht. Das merke ich beispielsweise oft bei Anfragen für Ausstellungen. Was für ein Problem habt ihr denn? Dann stellt sich heraus: es ist kein Geld da, es ist kein Platz da, es ist kein Licht da und Lust haben sie eigentlich auch nicht. Die meisten haben überhaupt kein Problem ausser: Wie kriegen wir für lau die Bude voll? Es gibt ja viel zu viel Platz für Kunst und Egos. Und wenn man anders denkt, quasi wie ein Unternehmensberater, und fragt: was fehlt? Was sind die Bedingungen? Was will jemand? Dann kann ich anfangen, es machen oder es lassen, denn frei bin ich ja sowieso. Und wer wollte diese großen "Stahlfrauen"? Nur ich selber - ich bin ja auch der alleinige Produzent. Diese Giesserei-Geschichten habe ich angefangen, weil ich die ganze Reiserei leid war. Immer mit dem Köfferchen: Airport-Taxi-Hotel-Aufbau-Galerie-Dinner-und-zurück, immer diese Openings. Ich sagte mir, bleib mal bei der Sache, und je langsamer das geht, desto besser geht das. Das dauert ekelhaft lange, Monate über Monate tut sich da überhaupt nichts: "Okay, jetzt haben wir wieder 20 cm hingekriegt und noch mal 20 cm" - und dann doch wieder alles abhacken. Sehr mühsam. Aber im Moment mache ich nichts Grosses - nur kleine Dinge. Ich weiß garnicht, wie ich den Sommer herumgekriegt habe. Die tägliche Banalität fällt, wenn man allein ist, ja beinahe ganz weg. Man braucht am Tag "ne halbe Stunde für das Notwendigste, ein Stück Käse kaufen, Waschmaschine anschmeissen, Kaffee kochen - Zack fertig. Sie haben zu viel Zeit? Ja, gestern habe ich mich so gelangweilt, dass ich bei Google "Telefon" eingegeben habe. Und 11 Millionen Einträge gekriegt und vierhunderttausend Bilder. Dann habe ich "Aschenbecher" eingetippt - dreihunderttausend Einträge, fünftausend Bilder. Da ist alles drin, aber das ist überhaupt nicht wesentlich. Und dann wußte ich nicht, was ich noch nachgucken sollte, was sollte ich suchen... Also mein Hauptversuch ist, was kann noch wesentlich sein und sich behaupten gegen diese Müllflut. Was könnte man machen, was in sich so stimmt, daß es bleibt, und wenn es nur ein Gedanke ist. Die Tage tot zu schlagen, ist nicht so einfach, denn die wehren sich ja.
(08 2004 für Alert #16 - nicht mehr erschienen, da das Magazin Konkurs ging.) ... top.
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