Thomas Rufft Text: Max Dax & Andreas Reihse
(?) Herr Ruff, beginnen wir das Gespräch in Venedig, wo Sie auf der diesjährigen Biennale vertreten sind. Dort wollte eine Redakteurin der italienischen Frauenzeitschrift Amica ein Interview mit mir machen. Nur über Kunst, so sagte sie mir, würde sie mit mir nicht sprechen wollen. Sondern über die Person Thomas Ruff, also: verheiratet, Kind, Kochrezepte, schönes Haus in Düsseldorf und so. (?) Und? Ich habe ihre Fragen beantwortet. (?) Reden wir trotzdem über Ihre Kunst. In Venedig haben Sie in der Ausstellung «The Experience Of Art» Ihre neue Serie «jpeg» vorgestellt. Meine Arbeiten sind in der Gruppenausstellung im Italienischen Pavillon ausgestellt, die von Maria de Corral kuratiert wurde. Dort hängen zehn Bilder aus meiner neuen Serie — große, pixelige Bilder, JPEGs eben —, die sich sehr stark um Wahrnehmung, Abstraktion und Realismus dreht. Im Prinzip funktionieren diese Bilder so: Wenn man ein Bild aus großer Entfernung anschaut, meint man ein präzises fotografisches Bild zu sehen. Wenn man sich ihm jedoch auf fünf Meter nähert, fängt die Abstraktion an. Dann wird das Bild sehr malerisch, obwohl es aus quadratischen Pixeln aufgebaut ist. Betrachtet man ein JPEG schließlich in seiner Mikrostruktur, erkennt man gar nichts mehr, nur noch ähnlich farbige Quadrate. (?) JPEG oder .jpg bezeichnet in der Computersprache eine Speichermethode für Bilder. Durch Datenkompression wird der Speicherplatz, den ein digitales Bild auf der Festplatte benötigt, minimiert. Aber die Kompression hinterlässt Spuren im Bild: Schaut man sich ein JPEG von Nahem an, so stellt man fest, dass es in ein Pixelraster aufgeteilt ist, das immer 8 x 8 quadratische Einzelpixel zu einem größeren Quadrat zusammenfasst. Dieses Raster erinnert an Pinselstriche, wenn man es im Detail betrachtet. Es erhält eine malerische Qualität. (?) Sie machen gewissermaßen die Moleküle der Bilder sichtbar. Noch vor wenigen Jahren haben Sie für Ihre Pornobilderserie «nudes» umgekehrt gearbeitet: Sie haben stark komprimierte Porno-JPEGs aus dem Internet ins Riesenhafte vergrößert, dabei aber durch den Einsatz künstlicher digitaler Weichzeichner sichergestellt, dass die Pixel nicht mehr sichtbar waren. Stimmt. Bei den «nudes» habe ich versucht, die Pixelstruktur möglichst klein zu halten. Dieses Mal jedoch wollte ich die Struktur der «Joint Photographic Expert Group» — für die JPEG als Abkürzung steht — nicht nur anwenden, sondern dezidiert zeigen. (?) In Analogie zum Speicherplatz, den ein großes Bild beansprucht, braucht man tatsächlich einen großen Raum, um sich Ihren JPEG-Bildern zu nähern. In einem kleinen Raum würde die Arbeit wohl nicht so gut funktionieren. (?) Die Abstraktion Ihrer Bilder hat Ihr Publikum verstört. Zumindest berichten das Journalisten, die vor Ort in Venedig waren. Ich denke, diese Art der Verstörung findet bei den Betrachtern meiner Bilder im Prinzip bei jeder neuen Serie statt. Die Leute versuchen den Ideen des Künstlers zu folgen, und sie werden bei jeder neuen Serie von mir mit scheinbar diametral entgegengesetzten Bildwelten konfrontiert. (?) Man kann sich an Sie nicht gewöhnen? Die Gewöhnung kommt mit der Zeit. Ich arbeite in Serien, die ich teilweise über Jahre durchdekliniere. (?) Was für Motive wählten Sie für Ihre «JPEG»-Serie? Das einstürzende World Trade Center, Vulkanausbrüche, Atombombenexplosionen, Killing Fields in Kambodscha, brennende ölquellen in Kuwait und so weiter. Der Kunsthistoriker Werner Spiess war kürzlich bei mir zu Besuch. Ich zeigte ihm meine neuesten Arbeiten, und er meinte, das sei ja zeitgenössische Historien-Malerei. (?) Er meinte das positiv? Ich glaube schon. (?) Das könnte man ja auch als altmodisch kritisieren. Warum? (?) Was macht Ihre Bilder zu moderner Historien-Malerei? Ein Aspekt ist natürlich die Wahl des jeweiligen Motivs. Ein anderer ist, dass diese Bilder durch das Pixelraster abstrahiert sind, dass sie nicht mehr die Bildhaftigkeit des aktuellen Nachrichtenfotos haben, sondern in etwas transformiert werden, das uns an Historien-Malerei erinnern kann. Die Bilder sind auch eine Arbeit über das Internet oder genauer: über die Distribution von Bildern im Internet, wo zu jedem Thema sofort unendlich viele Bilder zu finden sind; die meisten in einer miserablen Qualität. Die handvoll Bilder, die mich beeindrucken, picke ich heraus, versuche sie aus dem Tagesgeschehen herauszunehmen. Ich versuche sie zu grundsätzlicheren Bildern werden zu lassen, die, wenn man sie mit etwas Ruhe betrachtet, verschiedenste Assoziationsketten auslösen können. Und natürlich ist es schon so, auch wenn ich nicht von einem moralischen Auftrag sprechen will, dass sie den Betrachter an Dinge erinnern, die nicht so schnell in Vergessenheit geraten sollten. (?) Stört es Sie, dass zur Beschreibung Ihrer Arbeit oft Begrifflichkeiten aus der Malerei benutzt werden? Ich selbst habe ja etwas ähnliches angedeutet, als ich von der malerischen Qualität der Fotos sprach. Trotzdem haben meine Fotos natürlich nichts mit Malerei zu tun. Uns fehlt einfach noch das richtige Vokabular. (?) Gibt es da eine Entsprechung zu Gerhard Richter, der Fotos abgemalt hat? Seine Stammheim-Bilder bekamen durch den Wechsel vom Foto zur Malerei eine Ahnung von Ewigkeit — und werden heute ja ebenfalls als Historien-Malerei betrachtet —, während die den Bildern zugrunde liegenden Fotos allenfalls als dokumentarisch erachtet worden waren. Im Prinzip gehen Sie ähnlich vor, oder? Was möchten Sie jetzt hören?. (?) Anders gefragt: Ihr Bild von den brennenden Ölquellen weist in Ihrer Bearbeitung verblüffende Parallelen zu einem Bild von Caspar David Friedrich auf, das Sie ebenfalls aus dem Internet runtergeladen und auf die gleiche Weise bearbeitet haben. Gibt es da Gesetzmäßigkeiten? Gibt es nur einen bestimmten Kanon von Formen, über den hinaus man gar nichts schaffen kann? Die Bilder der brennenden Ölquellen weisen die gleiche piktorale Sprache auf wie Landschaftsgemälde der Romantik. Die Verbindung von augenscheinlicher Grausamkeit und visueller Faszination findet man bereits bei Goya. Vermutlich gibt es einen Formenkanon, auf den ich mich ebenfalls beziehe. Viele meiner Motive der «jpeg»-Serie sind sehr brutal. Meist handelt es sich aber um eine vom Menschen geschaffene Brutalität — nur der Vulkanausbruch zeigt die Gewalt der Natur ohne Zutun des Menschen. Fast alle Bilder stammen aus dem World Wide Web. Ich habe den Begriff wörtlich genommen und wollte einmal um die Welt mit dieser Serie. Also zeige ich nicht nur den Einsturz der Zwillingstürme in New York, sondern auch den Krieg im Irak oder die Zerstörungen der russischen Armee in Grozny. Auf der Suche nach Bildern von Verbrechen der Taliban begab ich mich auf Homepages aus Afghanistan, bei der Recherche zu Bildern aus Kambodscha fand ich süßliche Landschaften, die sich aber als Bilder der Killing Fields entpuppten, auf denen das Pol-Pod-Regime vor Jahren unzählige Menschen ermordet hat. Ähnlich ist es bei anderen Bilder, die eine scheinbar schöne Natur zeigen, in Wirklichkeit jedoch furchtbare Umweltverschmutzungen zeigen, zum Beispiel öllachen, die wie idyllische Teiche aussehen. Ich gehe davon aus, dass es auf der Welt keine unschuldige Landschaft mehr gibt. Überall hat der Mensch bereits seinen stinkenden Fuß hin gesetzt. (?) Verstört es Sie, wenn Sie die Schönheit eines eigentlich grausamen Sujets entdecken? Die Darstellungsform und das, was dargestellt ist, sollten sich entsprechen. Da passt dann der Ausdruck, etwas sei furchtbar schön. Es gibt eine Faszination für Dinge, die eigentlich grässlich sind, optisch aber wahnsinnig aufregend. Bei der Suche nach meinen Motiven habe ich auch gemerkt, dass Explosionen und Rauch sich einfach besser als Statement eignen als viele andere Motive. (?) Auffällig ist auch die Menschenleere: Die Menschheit ist wie ausradiert auf Ihren Bildern. Der Mensch läßt sich einfach sehr schlecht in Quadraten darstellen. (?) Welches war das erste Motiv, das Sie für Ihre «JPEG»-Serie gewählt haben? Alles begann mit dem 11. September, mit dem Anschlag auf das World Trade Center. Ich war in der Woche, als die Anschläge passierten, in New York und habe das Ganze vor Ort mitbekommen. Ich habe wie viele andere auch Fotos gemacht. Als ich in Deutschland die Filme vom Labor zurück bekam, waren die Filme blank. Ich weiß bis heute nicht, ob es an der Batterie gelegen hat oder doch an den Röntgenstrahlen beim Sicherheits-Check, bei der Ausreise am New Yorker Flughafen. (?) Sie meinen: Weil die ihre Apparate auf Anschlag gestellt hatten? Vermutlich. Auf alle Fälle hatte ich keine Bilder. Das hat mich genervt. Ich habe mir anschließend jede Menge Bilder von dem Anschlag aus dem Internet runtergeladen. Nach und nach tauchten ja immer mehr auf. Das war der Zeitpunkt, wo ich mit den «jpeg»-Bildern rumzuexperimentieren begann, und letztlich der Beginn der neuen Serie. (?) Wie hat man sich das vorzustellen, wenn Sie von rumexperimentieren sprechen? Bei der Arbeit an den «nudes» war mir bereits aufgefallen, dass manche der heruntergeladenen Bilder sehr schöne Teilstrukturen hatten. Nur damals wusste ich noch nicht, was es mit diesen Strukturen auf sich hatte. Ich begann nachzuforschen und bekam heraus, dass die Strukturen durch die Art der Komprimierung entstanden waren. Ich habe also angefangen mit der Bildgröße und der Qualität der Komprimierung herumzuexperimentieren. Die Bilder von 9/11 waren ikonenhaft, und sie hatten trotzdem zugleich eine furchtbar niedrige Bildauflösung. Mit der schon erwähnten JPEG-Struktur und den Erkenntnissen aus der Arbeit mit Bildstrukturen konnte ich die unglaublich schlecht aufgelösten und trotzdem visuell ästhetischen Bilder in meinem Sinne umwandeln. Schrecklich-schöne Bilder waren das. (?) Für Sie kam es nicht in Frage, den blanken Film, den durch die Röntgenstrahlen zerstörten Film zu entwickeln und die weißen Bilder zu zeigen? Nein. Das wären im übrigen keine weißen Bilder, es wäre ein gräuliches Gewaber gewesen. Fototechnisch konnte man da nichts mehr herausholen. Ich habe dann aber tatsächlich noch versucht, den Film zu scannen. Mit viel Mühe konnte man andeutungsweise eine Menschengruppe erkennen, die in eine bestimmte Richtung schaute. Kurz: Da wäre nichts Auszustellen gewesen, weil nichts auf dem Film war. Warum soll ich das Scheitern dokumentieren? Eine Bedeutung über den Titel hinein zu geben, macht für mich keinen Sinn. (?) Statt der zerstörten eigenen Bilder haben Sie fremde Bilder namenloser Fotografen zu Ihren eigenen erklärt. Ab wann ist ein fremdes Bild Ihr eigenes? Ich denke, durch die Veränderungen, die sich durch die Bearbeitung ergeben, wird es zu meinem Bild. (?) Ist Ihr Konzept also stärker als das gefundene Original? Das Konzept ist auf jeden Fall stärker. Bei der Vorlage und meinem Bild davon handelt sich um zwei völlig verschiedene Bilder. Meine Bilder haben eine ganz andere künstlerische wie inhaltliche Qualität. Ich möchte, um das zu verdeutlichen, einmal zurückgehen zu einer anderen Serie, die «Sterne»: Das war das erste Mal, dass ich nicht selbst fotografiertes Material benutzt habe. Das lag für mich lange Zeit jenseits meiner Vorstellungskraft. Zuvor war ich immer der Autor meiner Bilder gewesen. Ich musste dann aber diese Autorenschaft aufgeben, als ich merkte, dass ich Sternenbilder in der Qualität in Europa nicht selbst fotografieren kann. (?) Weil Sie keine Sternwarte besitzen? Genau, keine Sternwarte und auch kein Fernrohr mit 1,50m Durchmesser samt Nachführ-Montierung. Damals war es für mich letztlich einfacher, den Gedanken der absoluten Autorenschaft aufzugeben. Ich habe einen Lizenzvertrag mit dem European Southern Observatry geschlossen und ihnen Kopien der Glasnegative einiger ihrer Sternenbilder abgekauft. Meine Arbeit bestand schließlich darin, aus diesen Aufnahmen Ausschnitte auszuwählen und diese dann zu vergrößern. Es handelte sich also fast um 1:1-übersetzungen des von mir erworbenen Materials. (?) Sie haben seitdem mehrfach so gearbeitet. Ja. In der Serie «nudes» zum Beispiel hätte ich diese Bilder gar nicht selber machen können. Weil mir sowohl die Phantasien als auch die Darstellungsmöglichkeiten dieser wirklich sehr weit gestreuten sexuellen Praktiken fehlten. Und deshalb habe ich auf vorhandenes Material zurückgegriffen. Ich entscheide allerdings natürlich, wie sehr ich dieses Material überarbeite, wie und nach welchen Methoden ich es abstrahiere. (?) Ist es jemals passiert, dass ein Fotograf seine Bilder wiedererkannt hat — und Forderungen stellte? Das ist bisher zwei Mal passiert. Das erste Mal gab es eine Auseinandersetzung mit einem meiner Bilder aus der Serie «Zeitungsfotos», einer Serie, in der ich Fotos aus Zeitungen entnommen und ohne sie zu verändern vergrößert habe. Da hat mir ein Rechtsanwalt geschrieben, ich müsse Copyright bezahlen. Die ganze Sache endete dann abermals so, dass wir einen Lizenzvertrag geschlossen haben, so dass ich das Bild weiter benutzen durfte. Das zweite Mal ging es um eines der «nudes»-Bilder. Da meldete sich eine junge Fotografin aus Los Angeles, die auf Fetischfotos spezialisiert war und hauptsächlich Latex- und PVC-Modelle fotografiert. Sie hatte eines ihrer Bilder in meiner überarbeitung auf der Homepage meiner Galerie Johnen & Schöttle gesehen und mir zunächst sehr böse geschrieben: Making a photo blurry does not make it yours my friend. (?) Wie haben Sie auf diesen nicht ganz unnachvollziehbaren Einwand reagiert? Ich habe mich entschuldigt und ihr mein Konzept erklärt. Zusätzlich habe ich ihr gesagt, dass ich ihr Bild wirklich klasse fand. Ich vermute ja, dass sie einen Tipp aus der Kunstszene bekommen hat, und dass sie aus der gleichen Quelle auch erfahren hat, wer ich bin. Sie hat dann zurückgeschrieben, dass es für sie eine Ehre sei, wenn ich ihr Bild benutzen würde, dass ich jedoch sie in einem Copyrightvermerk ihren Namen nennen sollte, wenn ich das Bild das nächste Mal veröffentliche. Sie schrieb noch folgendes: Sometimes I have to be a hard ass because I find my photos improperly used all over the internet. I hope you understand. (?) Viele Leute, die Zeug ins Internet stellen, tun es ja auch aus einem Selbstverständnis, dass es in dem Moment zu Allgemeineigentum wird. Das Copyright widerspricht dem natürlich. (?) Herunterladbare Bilder im Internet unterscheiden sich von Ihren dadurch, dass sie kein endgültiges Format, keine Oberfläche, keine physische Dinglichkeit haben. Fast alle Ihre Arbeiten lassen Sie vom Düsseldorfer Fotolabor Grieger vergrößern. Der Schliff, die Unverwechselbarkeit des Auftritts wird Ihren Bildern in diesem Sinne von Dritten gegeben. Bis 1990 hatte ich noch eine eigene Farbvergrößerungsmaschine, auf der ich die kleinen Porträts geprintet habe. Als ich dann größere Formate machen wollte, konnte ich es nicht mehr selber herstellen und bin zu Grieger gegangen. Mit den Laboranten von Grieger habe ich über die Jahre die Bilder so entwickelt, wie ich sie haben will. Die Arbeit ist im Grunde die gleiche wie in meiner kleinen Dunkelkammer. Dort schiebe ich Probestreifen rein und entscheide dann, ob ein Abzug heller oder dunkler oder anders in der Farbigkeit sein muss. Mit dem kleinen Abzug, der mir gefällt, gehe ich zu Grieger und die machen dann die gleiche Arbeit wie ich in meiner Dunkelkammer, nur halt in größer: Sie benutzen größere Probestreifen, und auch sie filtern so lange, bis ich sage, dass die Farben, die Helligkeit, der Kontrast etc. stimmen. Dann machen sie den großen Abzug. (?) Es handelt sich also um Gruppenarbeit. Das Ganze ist ein mechanisch-chemischer Prozess. Insofern ist es egal, welche Hände das Fotopapier berühren oder es in die Entwicklungsmaschine geschoben haben. Es ist egal, ob das der Künstler selbst macht oder ein Laborant. (?) Sie reisen nicht viel, um Ihre Bilder zu erstellen. Ihr Nachbar Andreas Gursky hingegen fliegt mitunter um die halbe Welt, um seine Motive zu fotografieren. Ich sitze meist zu Hause, wenn ich auf der Suche nach Bildern bin oder an meinen Bildern arbeite. (?) Sie gehen sogar so weit, dass Sie andere Fotografen beauftragen, Fotos für Sie zu fotografieren. Bisher habe ich das nur zweimal getan. Und auch hier gilt wieder: Fotografie ist eine ziemlich mechanisch-chemische Angelegenheit. Beide Gebäude, die ich fotografieren ließ, sind Gebäude von Herzog & de Meuron. Eines befindet sich in Laufen in der Nähe von Basel, das andere in Eberswalde. Ich war einfach zu faul, um dort jeweils hinzufahren. Für meine Architekturaufnahmen der Serie «Häuser» bin ich maximal bis Essen oder Köln gefahren. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, nach Hamburg oder München zu reisen, um dort irgendwelche Häuser zu finden, die ich fotografieren könnte. Allerdings habe ich bei Ricola Laufen Herzog & de Meuron genaue Vorgaben gemacht: Sucht euch einen Profi, einen Architekturfotografen, der das Gebäude frontal fotografiert. Wenn es zu lang ist, dann soll er halt zwei Aufnahmen machen, die ich am Computer zusammenmontiere. Das wurde dann auch so gemacht. Die ersten Fotos entsprachen jedoch nicht meinen Vorstellungen, aber anhand dieser konnte ich genauer beschreiben, was ich haben wollte. Und tatsächlich hat er dann zum Schluss zwei Aufnahmen gemacht, die ich am Rechner zusammengesetzt habe. Anders gesagt: Wenn jemand anderes das gleiche machen kann wie ich — warum soll ich es dann selber machen? (?) Sie interpretieren die Möglichkeiten, welche die digitale Revolution uns gegeben hat, radikal. Meine Kollegen sind in dieser Beziehung vermutlich ein bisschen konservativer — zumindest was die Autorenschaft angeht. Seit Anfang der Achtziger, eigentlich seit es den Begriff der appropriation art gibt, wird sehr viel Material von Künstlern benutzt, das eben nicht von ihnen selbst stammt. In der Musik hat es mit dem Sampling, was ja auch eine digitale Technologie ist, eine ähnliche Entwicklung gegeben. Automatisch hat sich da ein anderes Selbstverständnis von Autorenschaft entwickelt. Trotzdem wird vermutlich in vielen Bereichen die Art der Herstellung eines Produktes personengebunden bleiben. (?) Oder die Berühmtheit formatgebunden: Sie wurden weltberühmt in dem Moment, wo Sie Ihre Porträts ins Riesenhafte vergrößert haben — obwohl es sich um die gleichen Motive handelte. Bei den Porträts war das vergrößerte Format Teil des Inhalts. Ich hatte zuvor eine Serie mit Porträts im Format 24 x 18 cm gemacht, die mit Passepartouts gerahmt waren. Als ich die Porträts ausstellte, bemerkte ich, dass die Leute immer durch diese Bilder hindurch auf die Wirklichkeit schauten. Wenn sie vor einem kleinen Foto von beispielsweise Vero Pfeiffer standen, haben sie gesagt: Das ist ja Vero! Sie verwechselten die Abbildung mit der Wirklichkeit. Mit dem großen Format wurde es einfach für jeden offensichtlich. Da hat es jeder gemerkt, dass sie nicht vor Thea Djordjadze stehen, sondern vor einem Bild. Ganz einfach, weil Thea in Wirklichkeit nicht so groß ist wie auf dem Bild. (?) Dann wiederum war es so, dass Sie keineswegs als der Erfinder des vergrößerten Formats durchgehen können: In der Werbung und im Messebau wurde schon immer mit überformaten gearbeitet. Haben Sie da von der Werbung gelernt? Vor allem wollte ich damals erreichen, dass die Fotografie endlich als Kunstform, als künstlerisches Medium akzeptiert wird. Und dass die Leute merken, dass sie vor einem Kunstwerk stehen — und nicht bloß vor einem Abbild der Wirklichkeit. Und im Prinzip hat sich dieses Motiv seitdem durch meine ganzen Serien gezogen hat. Also diese Fragestellung: Was ist eine Fotografie? Wie entsteht eine Fotografie? Ich habe versucht, eine Art Grammatik der Fotografie zu entwickeln, die jedes Mal das fotografische Bild in Frage stellt. (?) Sind Ihre Bilder trotzdem für die Ewigkeit gedacht? Ich hoffe, sie halten lange. Jedenfalls arbeitet Kodak daran... (Lacht) (?) Und, geben Sie Garantien? Nein, gebe ich nicht, kann ich auch nicht. Aber wenn ich ein beschädigtes Bild ersetzen kann, dann tue ich das auch, zumindest solange wie es diese Technologie noch gibt. Aber wenn jetzt jemand ein Bild von mir in die Sonne hängt und sich nach zwei Jahren beschwert, dass es gelb geworden sei, dann kann ich ihm auch nicht mehr helfen... (?) Es gibt ja auch Künstler, die genau diese Vergänglichkeit thematisieren, natürlich Beuys oder Dieter Roth... Das tue ich nicht. Aber richtig ist auch: Meine ersten Porträts haben ein ganz anderes Erscheinungsbild als die Abzüge, die ich heute mache. Die haben ein anderes Grundweiß, andere Kontraste, tatsächlich eine andere Farbgebung. Wenn man ein Bild von 2005 neben ein Porträt von 1988 hängt, kann man natürlich sagen, das letztere sehe altmodisch aus. Aber das ist eben auch eine historische Fotografie — erstellt mit einer Technologie, die bald 20 Jahre alt ist. Und wenn man noch weiter zurückgeht, gibt es auch historische Fotos mit noch einem anderen Erscheinungsbild. Diesen Zustand akzeptiere ich. (?) Müssen Sie dafür nicht bisweilen das Gesetz der Serie brechen? Nein, ich beende eine Serie immer in der Technologie, in der ich sie beginne. Einmal war ich sogar gezwungen, eine Serie zu beenden, weil Kodak die Herstellung des Fotopapiers eingestellt hatte. Aber dann beginne ich eben eine neue Serie auf einem anderen Papier. (?) Mit diesem Ansatz sind Sie neben Jeff Wall der erste Superstar-Künstler geworden, der die Fotografie als alleiniges Medium benutzte. Sie wurden berühmter als Ihre Mentoren, das Ehepaar Becher, und erst nach Ihnen wurden Fotografen wie Andreas Gursky, Cindy Sherman oder Wolfgang Tillmans ebenfalls zu Superstars. Das hat mich auch schon gewundert. Allerdings war Cindy Sherman gemeinsam mit Richard Prince bereits während meines Studiums an der Akademie Anfang der Achtziger bekannt. (?) Wieso verwundert Sie Ihr Status? Immerhin sagen Sie doch selbst, dass Sie die Fotografie endlich als Kunstform akzeptiert sehen wollten. Es ist Ihnen einfach gelungen. Natürlich weiß ich, was ich gemacht habe. Es ist mir bewusst, dass ich vor anderen ein paar sehr wichtige Dinge formuliert habe, die als wichtig wahrgenommen wurden. (?) Werden Sie auch wie ein Star behandelt? Ich habe darauf noch nie besonderen Wert gelegt. Aber ich hatte auch nie damit gerechnet mit meiner Arbeit einen solchen Erfolg zu haben. Als ich zum Beispiel meine erste Serie, die «Interieurs» machte... (?) Das war 1979 bis 1983, wo Sie vorallem Motive aus Ihrem Elternhaus und Ihrer Düsseldorfer Studentenwohnung fotografierten. ...haben die Leute mir damals in Ausstellungen nur auf die Schulter geklopft und gesagt: Schön, Thomas. Mach weiter so. Aber sie haben die Bilder natürlich nicht gekauft. Damals habe ich tatsächlich gedacht, dass ich mein Leben lang von Auftragsfotografie leben werde und dass ich mich nur in meiner freien Zeit meiner künstlerischen Arbeit würde widmen können. (?) Was für Auftragsarbeiten waren das? Fotoaufträge. In Museen erstellte ich Installationsaufnahmen von Ausstellungen, oder ich dokumentierte die Arbeiten anderer Künstler. In Zahlen ausgedrückt: In der Regel war es so, dass ich eine Woche des Monats arbeiten musste, um die restlichen drei Wochen davon leben zu können und meine künstlerische Arbeit zu machen. Mit den großformatigen Porträts hat sich das dann geändert, und ich habe mit Freude meine Jobs gekündigt. (?) Also stimmt es, was der Galerist Max Hetzler einmal gesagt hat: Bild klein, kommt nichts rein, Bild groß, viel Moos? (Lacht) Da gibt's aber auch noch: Sex Sells! (?) Sie meinen, die «nudes» haben sich noch besser verkauft? Vielleicht sollte ich es anders formulieren. Mit den großen Porträts war ich ein erfolgreicher junger Künstler. Mit den «nudes» zeigte sich, dass ich auch als mittelalter Künstler erfolgreich bin. Heutzutage ist es relativ einfach geworden, ein erfolgreicher junger Künstler zu sein, aber sehr schwer, ein mittelalter erfolgreicher Künstler zu sein oder zu bleiben. Die Kunstszene sucht immer das Neueste, Hipste. Und mit Mitte Ende Dreißig gerät man denn eben in Vergessenheit, weil ja eine neue Generation herangewachsen ist. So ist es mir in den Neunzigern passiert, die «nudes» haben mein Revival eingeläutet. (?) Das heißt, die Arbeiten dazwischen kann man als Abschnitt bezeichnen, in welchem Sie um die Anerkennung gekämpft haben, die Sie zuvor genossen hatten? Die Porträts, Häuser und Sternenbilder haben mich berühmt gemacht. Die Nächte, die anderen Porträts, die Plakate, die Zeitungsfotos waren kommerziell nicht so erfolgreich. Dazu muss ich natürlich auch sagen, dass 1991 mit dem ersten Golfkrieg auch der Kunstmarkt eingebrochen ist. Dazu kam die Rezession in der USA, die dann auch Auswirkungen auf Europa hatte. Im Prinzip habe ich diese Jahre dank der europäischen Sammler überlebt. Ende der neunziger Jahre hat der Kunstmarkt wieder angezogen, und mit den «nudes» rannte ich offene Türen ein. (?) Waren die «nudes», ähnlich wie die Porträts, vielleicht das, was man als 'cutting edge' bezeichnet, dass Sie zum richtigen Zeitpunkt das Richtige formuliert haben — nur radikaler als alle anderen? Vermutlich war das so. (?) Spürten Sie das in diesem Moment? Mit den großen Porträts war ich mir damals sicher. Ich wusste: Das hatte es davor nicht gegeben. Kunstkritiker verwiesen damals immer auf Chuck Close oder Franz Gertsch. , Das war aber fotorealistische Malerei in höchster Präzision. Ich dagegen machte nur Klick! und hatte mein Bild. Porträts in dieser überwältigenden Nahsicht gab es 1986 nicht. Ich wusste, dass die Bilder einfach gut waren. Mit den «nudes» war ich etwas unsicher. Ich befürchtete, dafür geprügelt zu werden. (?) Weil Sie Angst hatten, dass da eine Prüderie berührt wird? Nein, weil es teilweise... merkwürdige Darstellungen waren. Das erste Bild war eine Frau mit Kegel. Es ist ein Unterschied, ob ein Künstler oder eine Künstlerin ein solches Bild ausstellt. Als Mann kann einem das sofort als Machismo, als sexistisch ausgelegt werden. Ich ging auch deswegen dazu über, die ganze Bandbreite sexueller Praktiken zu zeigen. (?) Sie wollten aber auch, dass man Ihre Arbeit nicht als männlich-sexistisch missverstehen kann, weil es auch um etwas anderes ging? Richtig. Die «nudes» sollten generell auch ein Kommentar zu den Möglichkeiten des Internet sein. über den Voyeurismus und Exhibitionismus, über die sofortige Verfügbarkeit von Pornographie: Man muss eben nicht mehr zum Bahnhofskiosk gehen, um Pornos zu kaufen. Gleichzeitig beinhalteten die Bilder natürlich auch, dass bei all der Euphorie darüber, dass jeder jetzt freien Zugang zu so viel Information und Wissen hatte, es dann doch wieder das älteste Gewerbe der Welt war, das als erstes diese neuen Distributionsmöglichkeiten erkannt und für sich benutzt hat. Ironischer Weise dachte ich dann, als es dann so überraschend gut lief, dass ich entsprechend der New Economy mit den «nudes» natürlich auch Internet-Millionär werden würde (Lacht). (?) Mit dem Internet hat sich in den Neunzigern die überzeugung durchgesetzt, dass alles möglich und somit alles denkbar und somit alles erlaubt sei. Negativ wird dieser Umstand landläufig als Werteverfall gedeutet, positiv als Zeitalter der Möglichkeiten und der Freiheit. In diesem Sinne thematisierten die «nudes» nichts, worüber man sich aufregen müsste, sondern sie waren eher ein Spiegelbild einer in den Neunzigern manifest gewordenen Selbstverständlichkeit. Die «nudes» sind natürlich keine Gesellschaftskritik, sondern ein Kommentar, wie wir mit unserer Sexualität umgehen. (?) Sie meinen: unaufgeregt? Es handelt sich eher um einen Kommentar zu dieser Big-Brother-Mentalität, dass man sich freiwillig einsperren und dabei filmen lässt. Bereiche, die früher persönlich und intim waren, werden heute allgemein zur Schau gestellt. (?) ...und drücken mit dieser TV-Präsenz den Wunsch, berühmt zu werden aus — und somit ein Millionenpublikum an. Haben Sie das Gefühl, dass das Publikum der modernen Kunst, ihren Diskursen und somit auch Ihnen noch zu folgen bereit ist? Ich habe erst kürzlich eine Statistik gelesen, derzufolge sich mehr junge Leute für zeitgenössische Kunst interessieren als für Literatur oder Film. In unserer Welt wird immer mehr über das Visuelle kommuniziert und immer weniger über die Sprache. Da heute selbst die Mobiltelefone eine Kamera eingebaut haben, kann man zum Text immer gleich das Bild schicken. Solche Entwicklungen bedingen, dass es ein verstärktes Interesse an der visuellen Sprache, also auch der Kunst gibt. Neue Technologien bedingen neue Lebensumstände. (?) Können wir also demnächst massenmediale Arbeiten von Ihnen erwarten, Bilder von Foto-Handys? Eine Werbefirma hat kürzlich 20 Exemplare einer neuen Zeitschrift, die der Handy-Fotografie gewidmet ist, zu meinen Händen an die Akademie geschickt. Ich gehe davon aus, dass demnächst die Anfrage um entsprechende Beiträge an die Ruff-Klasse kommt. Aber mich interessiert das im Moment noch nicht. Vielleicht in ein paar Jahren, schließlich arbeite ich etwa eineinhalb Jahre an einer neuen Serie. Denn erst wenn ich selbst 100% zufrieden bin, wenn ich eine gewisse Qualität erreicht habe, präsentiere ich die Arbeit der öffentlichkeit. (?) Trotz dieser relativ langen eineinhalb Jahre sind Sie in der Vergangenheit immer wieder der erste gewesen, der eine neue Technik thematisierte. Eigentlich macht man doch die wichtigsten Erfindungen zwischen 20 und 30. Sollte das daher nicht jemand machen, der 15 Jahre jünger ist als ich? Andreas Reihse & Max Dax, Zoo Magazine 9 2005 (e) |