"From Brussels With Love (TWI 007)"

Lucy McKenzie, schottische Künstlerin Jahrgang 1977, legte einen rasanten Start hin. Ihre Malerei traf den richtigen Ton, sie schien immer zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort, arbeitet mit den spannendsten Galerien zusammen, war in den letzten 7 Jahren an nahezu 100 Ausstellungen beteiligt, kuratiert, kollaboriert, hängt natürlich auch in der Sammlung des notorischen Spekulanten Saatchi. Jetzt sagte sie 'no, thank you' zur Nominierung für den Turner Preis, zu Phaidon, zu Williamsburg, Hackney, 'Mitte'.

Ich besuche sie in Brüssel, wo sie versucht, etwas Ruhe in ihr Leben zubringen und vielleicht auch etwas ganz anderes zu tun als Kunst.

"Seit einem Jahr lebe ich hier; zum einen wollte ich weg aus meiner Heimatstadt, einen kleinen Fleck nennt man so und den ganzen Rest der Welt?, dann hatte sich die Kunstszene in Glasgow geändert, kommerzielle Galerien tauchen überall auf, die Musikszene veränderte sich, da ging eine Professionalisierung Hand in Hand mit einem Konservativismus. Ich fühlte mich immer fremder und trauriger." Einige Zeit lebte sie in New York, London und Berlin: "Ich war es müde. Überall die gleichen Gespräche über Städte, über Gentrifikation, über diese Idee des Künstlers als 'urban-outsider'. Ich wollte weg von dieser 'urban-angst', dieser Unzufriedenheit, dieser Art von 'displacement'. Ich wollte da hin, wo mich die Kultur interessiert, vor allem die Mainstream-Kultur, und mich zuhause fühlen - nicht in diese gemütliche 'arty' Position zurückfallen, 'angry' zu sein und hungrig. Erst jetzt sehe ich, wie ich immer Kunst produziert hatte, unglücklich, reagierend auf eine Unzufriedenheit, wo man lebt, oder gegen die dominierende Kultur; hier habe ich das tolle Gefühl, Teil einer Geschichte zu sein, die zurückgeht bis ins 18. Jahrhundert."

"Stranger" (Repetition)

2004 wohnte sie bereits ein paar Monate hier: "Eigentlich, weil ich so ein Fan der Musik aus dieser Stadt bin, Les Disques du Crepuscule, Made to Measure, Factory Benelux, dann auch Subrosa oder EBM - die Popkultur, für die Brüssel steht."

In Brüssel ist der Unterschied zwischen wallonisch und flämisch am augenfälligsten. Zwei Kulturen, nicht wirklich viele Gemeinsamkeiten. Strassenschilder zweisprachig, marode Stadtviertel neben modischen Glaspalästen oder putzigen dörflichen Strukturen.

"Der Kultursektor ist fast gänzlich in flämischer Hand: schau Dir das schicke Antwerpen an und im Vergleich dazu Charleroi - die ehemals reiche Wallonie ist heute arm wie Schottland: postindustriell, zerfallen. Natürlich gibt es da Probleme: Fremdenfeindlichkeit, Rechtsradikalismus. Aber auch wie sich die flämisch-sprechenden Autoritäten genauso wie die französischen definieren, in dem sie Festivals organisieren, ihre eigenen Kulturzentren haben, und Kunst benutzen, um eine spezielle Gruppe von Kulturtouristen anzulocken, eine spezielle Art von Geld - so wie ich es in Schottland gesehen habe, kurz bevor ich ging, also das Erfinden von Biennalen, Art-Fairs und dieser ganze Schrott - und dabei die wirklichen Probleme ignorieren, also in Schottland leben 60% der Bevölkerung unter der Armutsgrenze. Trotzdem Brüssel ist ein wundersames Paradigma für Europa, eine seltsame soziale, kulturelle, politische Landschaft. In Großbritannien hat man diese Union-Jack Idee, die Belgier identifizieren sich eher über ihre lokale Herkunft als über die nationale. Sie haben historisch gesehen dieses Verständnis von einem Doppelleben, einer Doppel-Identität oder Dualität, wo Konflikt ein fast natürlicher Bestandteil ist - in der Kultur wie in der Psyche. Ich fühle mich sehr wohl an einem Ort, der nur da ist, weil jemand eine Linie drum herumgezogen hat."

Bald merkte McKenzie, dass Brüssel auch genau richtig sein könnte, all ihre anderen Interessen zu studieren: Cartoons, Comics, Drucktechniken, Stoffgestaltung bis hin zu den von ihr verehrten und überall präsenten Epochen Art Nouveau und Symbolismus.

"Meine Freunde" (Der Plan)

Lucy McKenzie liebt eine klare, direkte Sprache: viele Bilder sind bestimmt durch stark stilisierte Architekturelemente, Art Deco, Jugendstil. Schrift in offenem Sinnzusammenhang. Dann Portraits - oft Freunde oder sie selbst - oder eine Personenstaffage, manchmal fotorealistisch, dann wieder comichaft: sie ist fasziniert von der 'ligne claire', der Zeichenschule, die die Figuren schwarz konturiert, auf Schraffierungen verzichtet und Gesichter stark abstrahiert. Seit einiger Zeit beschäftigt sie sich mit Herge's 'TinTin' ('Tim'), lässt ihn altern, verwandelt ein Plattencover von Stephen TinTin Duffy in ein Portrait Tims - in dandyhafter Pose und Kleidung. Ihr Lebensgefährte Simon scheint aus einem ihrer Gemälde gehüpft zu sein - oder eben andersrum. Sie arbeitet plakativ und karikierend, ist aber doch näher an der Handzeichnung und verspielter als beispielsweise ein Julian Opie oder Roy Lichtenstein.

Einige Arbeiten referieren auf avantgardistische Propagandaplakate der frühen Sovietunion. McKenzie wurde vorgeworfen, sie entleere diese wichtigen Dinge, sample, was gerade im Trend liege: "Es hiess, ich würde sie auf etwas Nettes reduzieren. Aber diese Dinge sind sozial, kollektiv gedacht. Es gibt keinen Besitzer. Man hat das Recht, damit zu machen, was man will. Mein Umgang damit ist auch etwas komplizierter. Ich liebe diese sozialistische Idee von Schönheit für Alle; oder das Organische der Art Nouveau, was dann Giger auch in so etwas Unangenehmes drehen konnte. Natürlich ist es ein Benutzen, jegliche Kunst ist ausbeutbar, aber es geht mir um ein Neupostionieren, darum, wie man Dinge betrachtet und etwas Anderes zu diskutieren, was wichtig ist für unsere heutige Situation." Sie arbeitet mit Bekanntem, mit dem kollektiv Bewussten: "Dinge, die mehrfache Bedeutung haben, zu Kitsch werden auf T-Shirts, Kaffeebechern, Schlüsselanhängern oder als Reklame für eine Stadt eingesetzt werden im Kontrast zu ihrer ursprünglichen Idee." Ihre Arbeit ist kein Memory-Spiel, kein Caché für Vergessenes. "Ich habe kein Interesse an diesem Ausgraben von Obskuritäten aus 'hipness' Gründen. Ausser bei youtube, da finde ich es ganz gut."

"An Interview With Brian Eno"

Lucy McKenzie ist Popmusik-Fan. Mehr als das. Sie spielte Bass bei Ganger, macht Radio, hat ein Plattenlabel gegründet, sie besucht regelmäßig belgische Darkwave-Parties, sagt, bevor sie Zeit bei myspace vergeude, höre sie sich lieber durch ihre Plattensammlung. Im Gespräch zitiert sie Songlyrics, ihre Arbeiten beziehen sich offensiv auf Pop.

Ein frühes Gemälde von 1999 zeigt das Plakat für eine Depeche Mode Night: verwaschener Hintergrund, strenge Geometrie, Typographie - Bildideen, die sie weiterverfolgen wird, deuten sich an. Mit dem Erasmus-Austauschprogramm studierte sie damals in Karlsruhe, dort wurden sie und Paulina Olowska Freunde. Ein Jahr später gestaltete sie ein Plattencover für Erasure - durch Vermittlung von Chris & Cosey. Auch sie sind Freunde geworden. Lucy liebt, dass sie nach wie vor unabhängig und unkorrumpierbar arbeiten. Cosey Fanni Tutti lernte sie in ihrer gemeinsamen Londoner Galerie kennen: "Ich bin mit Throbbing Gristle aufgewachsen. Dann fiel mir auf, dass wir beide eine pornographische Vergangenheit haben." Cosey arbeitete als Sex-Model, was einen großen Teil ihrer heutigen künstlerischen Arbeit einnimmt; McKenzie modelte unter anderem für Richard Kern: "Das war auch so was, wie sich ein Spinnennetz auf den Hals zu tätowieren", sie schlägt eine imaginäre Zeitschrift auf, hält sie hoch: "Mum, guess what!?" und lacht.

Das deutsche Label Brain, Bryan Ferry, Brian Eno sind weitere Beispiele. "Eno ist in Großbritannien 'public property': Roxy Music, seine Solokarriere, Produzent, Labelbetreiber, dann Lehrer, Schöpfer des Microsoft Sounds, Berater von Tony Blair; auch sein Aussehen - eine erkennbare Person. Manche Leute reagierten schockiert, dass er nicht in diese Arbeit involviert war. Natürlich nicht, er hat keine Idee davon." Die großflächige Installation 'Brian Eno' öffnet einen Assoziationsraum, der weiter reicht, als nur eine Beschreibung des Künstlers sein zu wollen. Aneinanderreihungen von Zeichnungen und Siebdrucken wechseln sich ab mit unendlicher Leere; Neonröhren, Musik und einfaches Trompe L'oeil.

"The Shadow Garden" (Bill Nelson)

"Ich gehe wieder zur Schule!" erzählt sie freudenstrahlend: ein Studium des Trompe L'oeil, der illusionistischen Malerei, wie täusche ich Marmor oder Stoff oder Holz vor. Sechs Tage die Woche, Anwesenheitspflicht, keine faulen Ausreden. Mit Trompe L'oeil verhalte es sich wie mit zwei Sinuskurven, hat ihr ein Lehrer erklärt: "Plötzlich ist es sehr populär, alle wollen es haben, jeder denkt, er könne das auch, dadurch geht erst die Qualität runter - so schlechtes Pizzeria-Design - und danach die Popularität." Nur die guten Maler arbeiten weiter, die Qualität geht wieder rauf. Und so weiter. Studenten aus der ganzen Welt kommen nach Brüssel, um dieses Handwerk zu lernen.

"Ich bin interessiert, ob man Leute überreden kann, ihr braucht diese 'Fake'-Mauer hier, die aussieht wie ein billiges Jugendheim aus den 50ern." McKenzie spricht jetzt nicht vom Kunstmarkt, sie plant ein Büro für Interieurdesign - mit zwei Freunden: "Beca Lipscombe ist Modedesignerin. Um dieses ganze Dritte-Welt-/Kinderarbeit Business nicht mitzumachen, lässt sie in Schottland produzieren, was sehr teuer ist. Sie lebt nicht in London, ist nicht im Fokus. Und sie will ihre Kleider nicht an jeden verkaufen - kurzum, es ist schwer, so erfolgreich zu sein, und sie ist es müde. Neulich bei einer Ausstellung gab ich ihr Raum für einen kleinen Laden - unangekündigt", lacht sie, "wie wenn man ein Zimmer untervermietet ohne dem Hausbesitzer Bescheid zu sagen. Bernie Reid ist ein Schablonen- und Stempel-Experte, er kommt vom Graffiti und hat mir bei vielen meiner großen Gemälde assistiert. Wir drei lieben Trompe L'oeil, benutzen Schablonen, Stempel, Siebdruck, produzieren schnell und einfach. Es geht um die Idee, und die kann man eben auch 'einfach' transportieren."

"Und wie ist es, direkt mit einem Kunden zu arbeiten; aufmerksam und einfühlsam gegenüber dem zu sein, was er will, aber ihm exakt die gleiche Idee, die man auch in der Kunst verfolgen würde, zu verkaufen. Ich liebe ja Art Nouveau, aber nicht diesen luxuriösen Aspekt, wir wollen keine Edelsteine, Seidenstoffe oder so was. In der Malerei sind die Leute sehr aufgeschlossen dem gegenüber, was man sagen will. Aber was passiert, wenn jemand damit leben muß, weil es ihn permanent umgibt, oder bei der Gestaltung einer Bar, wo es darum geht, dass es ein Erfolg wird, dass es populär wird. Ich stelle mir das wie eine Kippenberger-Situation vor: 'Was Du wirklich willst, sind ein paar Pizzastücke und Frösche an der Wand - das würde richtig schick aussehen, glaube mir!'" lacht sie.

"Armoury Show" (Richard Jobson)

"Für meine Galerien ist es natürlich ein Schritt, das zu verstehen. Im Kunstrahmen ist alles erlaubt. Aber was passiert, wenn es plötzlich einen anderen Weg nimmt? Natürlich sitze ich lieber mit fünf Künstlern in einer Bar als mit fünf Designern; also die Kunstwelt, wie kritisch man sie auch sehen mag, bietet immer auch die Möglichkeit einen intellektuellen Raum aufzumachen, in dem alles möglich ist. Das sehe ich weder in der Mode noch im Design, kaum irgendwo."

Lucy Mckenzie verteilte ihre Energie und Ideen immer auf vielfältige Gebiete, ob sie jetzt Ausstellungen kuratierte, gemeinsam mit Keith Farqualar den Kunstraum Charisma leitete, mit Paulina Olowska in Warschau die Bar Nova Popularna betrieb, dorthin Künstler und Musiker einlud, ein Hörspiel schrieb oder das Plattenlabel Decemberism gründete.

"Es hat mich immer interessiert, diese sozialen Dinge zu tun, die viel und harte Arbeit bedeuten, wie mit der Bar, wo wir uns auch fast an Wodka vergiftet hätten, und dann im Gegenzug eine Einzelausstellung in einer Institution, also Einsamkeit zu haben, Dinge geistig auseinander zu nehmen."

Oder zusammenzuführen. In Warschau hatten sie auf einer feministischen Konferenz 'La Strada' kennengelernt, eine Selbsthilfe-Organisation für Prostituierte. Ein Ausflug aufs Land lies sie die Realität der Grenzprostitution erleben. "Zur selben Zeit sah ich einen Spielfilm zu diesem Thema, das fühlte sich sehr komisch an. Die Ausstellung danach in der Londoner Tate Britain fiel mir ziemlich schwer. Ich las im Tagebuch von Eno von einer Kunstauktions-Party mit Damien Hirst, und dachte, was für eine grässliche 'celebrity-charity-world'. Aber wenn ich jetzt schon in diese Welt eintrete mit einer Ausstellung in der Tate, die eine PR-Abteilung hat, die die Show vielleicht in den British Airways als 'Come-To-See-Exhibition' ankündigen wird, dann werde ich die als Charity zu nutzen. Damit habe ich die Bürokratie in der Tate durcheinandergewirbelt - die Tate selbst ist auch eine Charity. Aber da war ja keine Ironie dahinter, und der Erlös aus jeder verkauften Arbeit ging direkt ohne Umweg an 'La Strada'. Das ist was anderes als diese ewigen Briefe wie, das MoMA baut einen neuen Flügel, wir wollen eine Arbeit von Dir für eine Auktion. Das hat nicht die gleiche Proportion."

"Piece For An Ideal" (Durutti Column)

McKenzie ist nicht Teil geworden einer Brüsseler Kunstszene, oder vielleicht noch nicht: "In Glasgow war das meiste, was passierte, selbst organisiert, ich habe dort übrigens nicht eine Arbeit verkauft. Ich war von keiner Institution eingeladen, es gab nur eine Show bei Transmission. Nicht dass es mir wirklich wichtig war. Hier sollte ich jetzt an einer Ausstellung teilnehmen 'Ausländische Künstler in Brüssel'. Ich habe abgesagt. Ich nehme mir viel Zeit, herauszufinden, wie ich mich hier fühle, und was ich hier tun will. Wenn ich was zeige, würde ich es eher selbst organisieren, es könnte einfach hier sein in meinem Apartment. Das andere ist so ein einfacher Weg."

Sie kennt das Geschäft natürlich mittlerweile. Aber sie hat auch drei seit Jahren stilbildende Galerien, die ihr den Rücken freihalten - Buchholz in Köln, Cabinet in London und Metropictures in New York. "Klar, zum einen gibt mir das Freiheiten, aber meine Arbeiten haben auch keine hohen Produktionskosten und ich bin nicht kokainsüchtig oder so was. So wie ich arbeite, kann ich auch ein Jahr lang nichts produzieren. Der Kunstmarkt ist gerade wieder so aufgebläht, mit einer neuen Art von Geld und einer neuen Art von Publikum. Und ich habe gesehen, wie das Freunde verändert, Perfomancekünstler, Modedesigner, Filmemacher, die jetzt anfangen, zu malen, weil sie sehen, da kann richtig Geld drin sein." Lucy McKenzie sollte für den renommierten Turner-Preis vorgeschlagen werden, der ebenso renommierte Verlag Phaidon wollte ein Buch mit ihr machen. "Ich habe beides abgelehnt, es ist so wichtig, flexibel zu bleiben. Egal welche Idee Du hast, Du solltest die Chance nutzen, sie in einen anderen Kontext zu bringen, einen Paradigmenwechsel wagen - auch in Bezug auf die Ökonomie oder die öffentliche Wahrnehmung. Du musst deren Spiel nicht mitspielen. Natürlich ist es leichter, das zu tun, was von Dir erwartet wird. Aber ich würde mich fühlen, als ob ich mich tiefer und tiefer in ein Loch grabe."

 
Bis 4. August (2007) zeigt Sammlung Goetz, München, die Ausstellung Paulina Orlowska/Lucy McKenzie: "Noël sur le balcon/Hold the Color"

Als nächste Veröffentlichung auf Decemberism wird eine Split-Lp Cosey Fanni Tutti/Lucy McKenzie erscheinen.

(Zwischenüberschriften aus dem Album "From Brussels with Love" (Les Disques du Crepuscule TWI 007)

(Spex April 2007)