WORDS:
Seven ways to smoke a potato 2019 (d+e), Nikolai Szymanski — Hauntonomy 2019, Kordz | Natalie Beridze — Celebrity Clouds 2019, Matthias Lahme — Love 2019, Robag Wruhme — Nata Alma/ Venq Tolep 2019 (e), Dave DK — Chicama EP 2019 (e), Harmonious Thelonious — International Dance Record 2 2019 (d+e), Takeshi Makishima — Remain in Light 2019, Robag Wruhme — Venq Tolep 2019, Isabella Fürnkäs — The Loop 2018, Wanda is here 2018, Sleepers Poets Scientists 2018.

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SEVEN WAYS TO SMOKE A POTATO


»All art is at once surface and symbol.
Those who go beneath the surface do so at their peril.«

(Oscar Wilde, The Picture of Dorian Gray)

Neulich auf der Turmstraße

Neulich auf der Turmstraße, Berlin Moabit. McDonalds. Ein Mann vor uns. Ist das richtig teuer oder Oxfam? Ein Blick auf die Schuhe, und mein Sohn entscheidet, Oxfam.
Um zu sehen, verstehen, adaptieren, was wer wie kombiniert, dafür schickt jedes Label Scouts auf die Straßen, von Hermes bis C&A (die Unterschiede liegen in den Postleitzahlen). Vetements (1) ging weiter und tiefer, durchwühlte Altkleidertonnen von Berlin Richtung Ostwärts, bediente sich bei Funktionsware, DHL, Polizei — oder im Namen der großen Schwester Balenciaga bei Ikea — , und schneiderte so, dass es nach tja . . . Harz Vier aussah, aber den Preistag von Lagerfeld hatte. Vetements war Vorne, ein anonymes Kollektiv hinter den Gesichtern der Brüder Gvasalia, das frech mit den Konventionen von Mode und der Modebranche spielte. Und es war Vorne, obwohl es nur ein weiterer Twist in Kopie und Appropriation war, und das funktionierte ein paar Kollektionen lang, aber mittlerweile, in Repetition und Verfeinerung —und Verfeinerung ist der Tod!— scheint ihre Haltung in denselben Zynismus umgeschlagen zu sein, dem zuletzt auch Heidi Slimane bei SL anheim fiel, bevor er bei Celine (nun ohne accent aigu) wieder mit Dior Homme weitermachte. Neoliberale Arschlöcher ziehen neoliberalen Arschlöchern das Geld aus der Tasche? Zynismus, die Abnahme von Wärme, das Ende des Austauschs, Misanthropie. Der Moment kurz vor dem Stillstand. Zynismus ist nicht die Überhöhung eines ironischen Spiels mit dem Jetzt sondern dessen Pervertierung. Und eine iPhone Hülle für 180 Euro.

»Die Hand des Willens: der Kartoffelstempel, den man danach noch raucht.« (D.J.)

Ein seltsamer, demokratisierender Loop wäre eine Vetements — Kollektion bei H&M. Und: Repetition ist natürlich geil! Und: wer Vorne will, der greift zu Tamra (2) . In der nächsten Ausgabe mehr dazu.
 

Was ist Avantgarde?

»Der Würfel ist der Inbegriff des Ausgeliefertsein.« (D.J.)

Zwei der wichtigsten und modernsten Filme der letzten Jahre setzen Therapie in ihr Zentrum. Und zwar Analyse im und als Filmbild, nicht eine ausgedachte Idee, um Analyse als nachgeschobene Besprechung des Filmbildes einzufordern. Außer den endlosen Zoten Woody Allens, Dexters dümmlichen Selbstgesprächen in Serie, gab es reichlich Raum neben Solitären wie beispielsweise Carnage, oder Home Entertainment wie BeTipul (und der Adaption mit Gabriel Byrne), Larry David und Westworld (erste Staffel).
Zum einen Heinz Emigholz (3) mit Streetcapes [Dialogue]. Es beginnt mit einem Autounfall des jungen Analytikers. Was folgt ist ein mehrtägiger von Ort zu Ort springender nichtabbrechender Dialog, der einem den Atem raubt. Der Versuch, mit dem Analysand, einem Künstler, ein Weitermachenkönnen zu finden über Depression, Verletzung, Schaffenskrise hinweg; und wie und aus was dieser Weg gebaut wird, das ist von makelloser Eleganz. Streetcapes [Dialogue] ist daneben ein Film über Körper vor und in Architektur, und auf seine Weise eine Autobiographie, die einen Schlüssel zum Werk von Emigholz in die Hand legt. Doireann O'Malley (4) ) diskutiert mit Prototypes I — III anhand unterschiedlicher Sprechformen — Monolog, Dialog, Analyse, einer Art lacanistischer Sprachkritik, Stimme aus dem Off, Transkript, Gruppentherapeutische Situationen — Körper, Geschlecht, Sexualität. In einer großen fliesenden Bewegung macht sie Denken sichtbar, animiert Gedanken, legt Schauspieler*Innen auf die Couch, lässt sie im Waldsee eintauchen, durchs Hansaviertel flanieren, auf Sexworker*Innen in Unterständen treffen, lässt Schnecken über Möbel ziehen, stellt Traumbilder nach, und nutzt Eins und Null um das Konstrukt einer binären Geschlechteridentität aufzulösen. Sie spannt einen Bogen von frühester Zeit, von Mollusken, Zwitterwesen, über Freud, Haldane oder Turing ins Heute und das nahe Morgen zu Cyborgs. O'Malley setzt die Darsteller*Innen ins beste Licht; Ausstattung, Kamera, Ton, Schnitt — alles ist von einer tiefen Schönheit. Prototypes ist dabei wie sein Sujet im Wandel, nicht abgeschlossen, ein Vorschlag, Möglichkeiten: Langfilm, multiscreen—surround Installation, eine VR Welt.
Die Aufhebung der Trennung zwischen Dokumentation und Fiktion haben beide in ihrem Werk schon lange vollzogen; und außerdem, was man bei Heinz Emigholz nur wiederholen kann, darf man hier nun auch Doireann O'Malley attestieren: die schönste Art, Räume abzubilden.
 

diaphanes
Emigholz, Butzer, Clausen, PAN

Andere Räume, andere Stimmen

André Butzer (5) , der sich in seiner Serie N—Bilder, in der Wiederholung einiger Bildelemente, in hunderten von Bildern in unterschiedlichen Größen, und keine Improvisation, sondern Variation in einem gegebenen, selbst gewählten Format, auf die Suche nach der Essenz vom Malerei begibt; Bilder, die im Augenwinkel schwarzweisse Grafik zu sein scheinen, sind nichts als Farbe und Malerei, und es geht dabei um Malerei und das Malerische und nicht um die übertragung eines von ausserhalb herangetragenen Gedankens auf Leinwand oder die clevere Illustration einer Idee, um sich an irgendeinen Diskurs ranzuschmeissen, also keine Kirche, keine Postmodernität, sondern modern klassisch, zumal: Verknüpfungen gibt es drumherum ja genug, und Butzers Gemälde bleiben nicht im Turm versteckt, auch wenn er darüber beim Handwerk nicht nachdenken wird, weil er sich eben auf Pinsel und Farbe und den Prozess des Malens konzentriert und das sicherlich mit einem gewissen Maß an Manie bei der Fülle der Werke, sondern gehen raus in die Welt und machen etwas, dort, hier, bei uns, mit uns, eröffnen Möglichkeiten, schaffen einen Raum, um zu denken — und seine Bildfindungen thematisieren tatsächlich gleichzeitig die völlige Leere und die totale Fülle — Auseinandersetzen, Weitermachen.
Eine andere Geste der Wiederholung, das Abbild eines Bildes, Anders Clausens (6) Auseinandersetzung mit Form, Farbe und Dimension, mit Authentizität, Imitation und künstlerischer überhöhung des Sichtbaren in seiner Arbeit mit Vogelfedern, die er am Wegesrand gefunden oder online ersteigert hat, um sie dann zurechtzuschneiden, zu bemalen, bedrucken, zu galvanisieren, und die er im Winter 2015 in einer ersten Präsentation bei Between Bridges an die Wand montiert hatte, ein übergehen von Malerei zu Skulptur: nun in gedruckter Form — in Kombination mit dem anderen Exponat Double Urmeter X—Profile. Ein einzelnes Exemplar des Künstlerbuchs war nonchalant Starship Magazinen untergeschoben, auf einem mit eben diesem Heft übersäten Tisch beim zwanzigjährigen Jubiläum desselben. Wie zur geflissentlichen Nichtbeachtung. Vielleicht ein Test, oder auch ein überprüfen der Aufmerksamkeit der Betrachter*Innen. Im frühen Sommer 2019 erlebte das Buch dann bei Beach Office auf der Leipziger Straße, Berlin seine angekündigte Premiere. Und wiederum ein einzelnes Exemplar auf einer großen Auslage im Tresorraum. Aber dieser Tisch war ausschließlich für das Buch da. Und so strahlte es erhaben. Aufregend ist, daß es beides kann und sein kann: beim schnellen Blättern scheint nicht viel zu passieren. Abbild einer Feder und eines Meters, Seite um Seite, im Offset Print, in einem zweiten Durchgang mit einer Xeroxmaschine mit Grafiken und Fotografien von Hand überdruckt. Schwarze Reproduktionen auf farbigem Grund. Man klappt es zu, legt es zur Seite; und greift Minuten später doch wieder hin. Etwas hat sich eingehakt. Man kann nicht davon lassen. Und dann geht man tiefer hinein, in die Geschichten die der überdruck erzählt, aber darunter beginnt der Urmeter zu vibrieren, die Feder zu schwingen, und dann entdeckt man die Loop—Bewegung des Buches, in der Konzentration auf ein Motiv, und dann gerät man in ein endlos—ewiges Weiterblättern.
 

Let the Music play

Ein Erneuern als Programm, eingraviert ins große Ganze und eingeschrieben in jede Rille, ein Changieren zwischen Arbeitswelten, Lebensentwürfen, Fluten, Sexualitäten. Bill Kouligas versammelt auf seinem Label PAN (7) die schönste aller Familien, die gewählte, deren Mitglieder*Innen sich unterstützen, austauschen, ergänzen, erweitern, oder auch in Ruhe lassen, akzeptieren, mit Liebe betrachten. Die meisten PAN Musiker*Innen arbeiten in Parallelbereichen wie bildende Kunst, Theater, Tanz, Performance, Mode, Film. Und das nährt die Musik nochmals auf ganz andere Weise: ein bewusster Umgang mit Erscheinung und Erscheinungsbild. An den aufwendigen Covergestaltungen ist Kouligas immer beteiligt, oft setzt er mit sicherer Hand einen Strich auf eine PVC Schutzhülle, der rasant das darunter liegende Motiv umkreist; wenn Direktheit gefragt ist, dann stempelt er das Whitelabel. Kouligas beschreibt mit PAN einen Raum, in dem frei gespielt werden kann, der auch gedehnt werden kann; der Club ist offen Richtung Strand und Maschinenpark, daneben Geröll, daneben die Galerie, mit festem Blick das Morgen im Visier und mit einem sanften die Bibliothek; wie lange kann man Avantgarde sein: auf PAN manifestiert sich in jedem Ton ein stetes Weitergehen, seit elf Jahren veröffentlicht das Label die aufregendste Musik: elektroakustische Arbeiten Rashad Beckers, Bunkertechno von Helena Hauff, Kohei Matsunagas verspielte Clubtracks, James Whipples oder Lee Gambles von britischem Bass und Rave genährter Techno, Eartheaters außerirdischer Pop, Erik Wiegands experimenteller Electro, Pan Daijing zwischen Drone, Industrial und Folk, Steven Warwick/Heatsicks Idee von Club, Tsusings Variation auf Grime oder auch der schwere Dub von Spectre oder die freien Improvisationen von Marginal Consort. Wie das alles zusammengeht, und dass das alles zusammengeht, das muss man hören. Es ist schließlich Musik, es gibt über 100 Veröffentlichungen, und die Tür steht offen, man muss nur eintreten.
 

Was ist Avantgarde?

D.J.: »Weiss nicht. Aber geil.«

(Andreas Reihse, für Diaphanes, Sommer 2019)

— — — — —
Material:
(1) vetementswebsite.com;
(2) tamra.ge;
(3) vgl. Abb: Heinz Emigholz, Streetscapes [Dialogue], DVD (Berlin: Filmgalerie451, 2018)
(4) doireannomalley.com;
(5) vgl. Abb: André Butzer, untitled, drei Beispiele aus N—Bilder, auf Periode 1—3 Vinyl (London: Weltschmerz Verlag, 2019)
(6) vgl. Abb: Anders Clausen, untitled, Künstlerbuch (Berlin: Selbstverlag 2019)
(7) vgl. Abb: PAN, diverse Alben (pan—act.com)

 


Nikolai Szymanski — Hauntonomy

11 September — 2 November 2019 | Opening: 11 September, 7—10PM | ITALIC, Leipziger Str 61, 10117 Berlin Germany

 
Schweres, bemaskes Atmen schält sich aus dem Blau.

I wanted to make a film about memory
About the past haunting the present

spricht die weiblich—anmutende Stimme.
Wir ziehen mit ihr durch die Stadt. Ein zielgerichtetes Flanieren. Entlang an Beton, Leuchtkörpern, gekachelten Fassaden. Das Atmen folgt uns. Die Parkplätze, leergeräumt, nur zwei einsame Autos im Gegengespräch. Das Herzflattern beständig. Mein Gesicht in der Auslage. Ihr Gesicht im Spiegel. Indigo. Die Bildschirme flackern, ihr Blinzeln hält mit. Mein Blinzeln hält mit. Das Summen wird flächig und zu Metall.

The notion of lost futures made me realize my fascination with time

Objekte und Affekte im Stadtraum. Ein Fahrrad, ein Laptop, eine Rolltreppe, eine Regenrinne. Du sagst: beseelt — ich weiss: besessen. Ich knicke meinen Ellbogen ein, verstehst Du, es zu lesen? Das Auto zieht leise an, blickt, wie am Ende von Holy Motors. Polaroids auf dem Leuchtkasten, Ebertplatz, Küchenfenster, Kirchenfenster.

»What good is a photograph of you/ Every time I look at it/ It makes me feel blue«
(Martin Gore, A Photograph of You)

Weitere Bilder: in—formt die Vergangenheit die Gegenwart? bewegen sich die Geister nicht vielmehr frei?

Could there be a crack in time? A hole, a passage to the spectral?

Ein Tanz der Gespenster: subatomare Teilchen, denen die Regeln unserer großmolekularen Ebene gleich sind. Sie schwingen, brauchen uns nichtmal als Nahrung. Das Interface beginnt zu britzeln, aus Gnade über—setzt es ein allerletztes Mal und wird dann selbst Erzählung.

Could there be something, a dark star, invisible but yet detectable?

Sendemasten, Lauflichter, Drähte. Dann im Parkdeck. Du musst schon wissen, wo Du hinschaust. Wenn Du etwas sehen willst. Parallele Linien sind schlicht parallele Linien. Das Geheimnis liegt woanders.

»Die wirkliche Geschichte kommt später«, sagt Dave. »Unser Job ist es, dahin zu gelangen.«
(Alice B. Sheldon, Sunbird & Gloria)

***

HAUNTONOMY ist die jüngste Arbeit von NIKOLAI SZYMANSKI. Ein Versuch, in Form eines experimentellen Spielfilms sichtbar zu machen, wie — und vor allem auch worüber — Gespenster der Vergangenheit mit uns kommunizieren und unsere Jetztzeit beeinflussen. SZYMANSKI setzt damit an seiner Installation »My Lapis Lullaby« und dem Film »Ghostshopping« an (im Frühjahr 2017 bei italic). HAUNTONOMY verfolgt dabei Spuren in Arbeiten von Ken McMullen, Takashi Ito, John Smith, Steven Spielberg, David Lynch oder David Cronenberg wie auch im theoretischen/poetischen Werk Mark Fishers.
Die Aufführung von HAUNTONOMY bei italic ist gleichzeitig die Premiere des Films.

(Andreas Reihse, September 2019 für Italic)

 

thea djordjadze

 

KORDZ | NATALIE BERIDZE »Celebrity Clouds«

 

Ein Blatt Papier, darauf

Auf—
gezeichnete Tasten
Schwarz und weiß
Finger huschen übers Papier

Vierhändig, Klaviermusik, zwei blicken sich an. Etwas Wundersames wird entstehen.

Vier Stücke, aber kein Quartett, Chorea, ein Reigen, eins in die Mitte, drei
drumherum. Eine Kerze, aber keine Andacht, gebogen, noch nicht entzündet.
Ein Bild, das Abbild einer Erinnerung, eine Erinnerung. Geister.

Geister. Ein Geist durchschwebt den Raum, berührt etwas leicht, das Glas plötzlich
kühl, ein Frösteln im Nacken, die Gardine flattert, der Schatten durchbrochen.
Ein Flüstern, ein Hauch, Celebrity Clouds. Im Fernseher ein alter Film, David Niven,
das Flugzeug brennt. Nebel mischt sich mit Rauch zu Wolken.
Ins Telefon gesprochen, es sei schon lange abgeschaltet, sagen sie, aber
»Little do they know.« Der Schmerz noch da, doch leichter jetzt, und Teil meines Selbst.
Geschichte geworden, Zorn ist gewichen. Kleine Stiche nur.

Wer da spricht,
Von wo wer spricht,
Ist gleich.

Es spielt keine Rolle mehr. Vielleicht hat es nie eine gespielt.

Vergessen
In Eleganz
Hingetuschte Farben
Aquarelle
Blüten öffnen sich
Kelche neigen sich
Zur Sonne

»How are you today?« Ich seh

Ein leichtes Trauern in Deinen Augen
Finger huschen übers Klavier
Schwarz und weiß
Crescendo
Diminuendo

»How are you today?« — »Click, click«, meno piano, Strange at least!
Geister. Ein Geist fliegt über Inseln, ein Rütteln, Bermuda, die Sonne geht unter, und
auf, in einer einzigen Bewegung, nur leicht verschoben, und Welle und Teilchen,
ein Singen, ein Hauch, Sternenstaub: eine neue Harmonie, kannst Du sie aushalten?
Und: kannst Du sie halten?

Sie streicht sich die Haare aus dem Gesicht
Tulpen
Gefieder und Kralle
Dorn und Geäst
Verschränkte Notenständer
Crossing arms
Crossing hands

Ich seh

Ein leichtes Trauern in Deinen Mundwinkeln

Geister. Ein Geist verläßt die Wolken, er lässt sich darauf ein: ein anderes Haus,
ein anderes Zimmer, Half Tone Bubble — Seifenblasen, Champagner. Fremder könntet
ihr mir nicht sein. Brauch' nun ganz viel Trost: ein Blick hinein, Sternschnuppen und
Kometenbahnen, das Telefon klickt, ein Blick hinaus: »my module/ Sways in solar dusk«.

Ein leichtes Trauern
in Deinen Fingern
Vorsichtig auf den Tasten
Schwarz und weiß
Wegwischen der Notation
In großer Geste
Dolce
Ma non troppo

Äther.

Geister. Ein Geist steigt ins Taxi. Luzide nur im Spiegel sichtbar. Das Fahrzeug
gleitet durch die Stadt, gleichmäßig, mühelos, wie schwerelos, kein Stoppen.
Path of Comets. Nachtlichter, Reflexionen auf den Scheiben. Passing—by. Das
Fahrzeug bremst sanft. Die Fahrerin dreht sich um: wir sind da, und wir sind
eins, Du und ich, mein Auftrag lautet, anzukommen und zu warten, was passiert.
Wie bei Dir. Der Geist gleitet hinaus, »And the fog rolls in/ In cotton pads«, ein
leichtes Trauern in den Augenwinkeln.

 

*


Celebrity Clouds. Vierhändig, Klaviermusik, Sirrende Tontrauben, synthetische
Streicher, geheimnisvolles Kratzen und unanständiges Knacken. Natalie Beridze
und Kordz blicken sich an. Vier Stücke, aber kein Quartett, ein Tanz, ein Reigen,
eine Beschwörung. Celebrity Clouds, sie nehmen es in die Mitte, drei drumherum.
Beauté und Noblesse, der Ohnmacht nah. Und sie öffnen das Fenster, lassen
die Musik frei. Schönheit strömt hinaus, und nimmt das Aussen in ihren Bann.

KORDZ | NATALIE BERIDZE »Celebrity Clouds« EP (CES)

(Andreas Reihse, Juni 2019 für CES)

 


Matthias Lahme — Love

27 April 2019 — 8 Juni 2019 | Eröffnung, 25 April 2019, 19 — 22 Uhr | ITALIC, Leipziger Str 61, 10117 Berlin Germany

 
Matthias Lahme ist ein in Düsseldorf lebender und arbeitender Künstler.

Bekanntgeworden ist er als Mitglied von hobbypopMUSEUM. Die KünstlerInnengruppe nutzt seit 1998 ohne Einschränkung alle möglichen — oder präziser — notwendigen Medien, um sie zugespitzt unter einem übergeordneten Motiv in raumgreifenden Inszenierungen zu präsentieren.

Matthias Lahmes Einzelarbeiten sind ruhiger.
2003 hatte er für italic das Albumcover zu Little Annie and the Legally Jammin' (italic 035) gestaltet. Man kann diese Arbeit als Ausgangspunkt nehmen. Eine monochrom in Brauntönen gehaltene luzide Anordnung von Fleckigkeit, die das Gestische nicht verneint, es aber auch nicht herausstellt.

Seine Malerei ist zart und licht, Aquarelle wie hingeworfen. Harmonische Dur—Cluster mit Molleinschlag, kontemplative Meditationen. Matthias Lahme arbeitet mit leichter Hand.

Seine Papierschnitte flattern schwerelos im Wind: malerische Zeichnungen, fragile zweidimensionale Skulpturen. Die Silhouetten sind bezaubernd, zwischen Lotte Reiniger, Kirchenfenster und Lyonel Feininger — vielleicht zu Kinder Kids Zeiten. Märchenhaft bezaubernd: das heisst, er versagt nicht den dunklen Unterton, mäandernde Schattenrisse, die im Umherirren das Licht, den Ausschnitt rahmen und dabei das Dunkele, sich selbst, thematisieren. Zu dritt am Tisch isst man Kuchen zum Rotwein. Aber trete ein Schritt zurück, und Du siehst das tiefe Glitzern im Schwarzen der Wolfsaugen.

Im italic zeigt Matthias Lahme zwei neue hochformatige Papierschnitte, 240x115cm. Sie sind unbetitelt, aber zweifelsfrei Kinder der Liebe. Love nennt er seine Ausstellung. Und wenn er von Love spricht, dann meint er genau das. Liebe, in ihrer ganzen Unergründlichkeit. Liebe, mit allen Über— und Untertönen. Lahme pflegt eine ambivalente Verständlichkeit. Die Doppelbödigkeit ist immer sichtbar. Zugänglichkeit auch in der Abstraktion.

Das verspielt wirkende lässige Raster seiner Arbeiten ist von einer gewissen Strenge durchwoben. Der Weg zur gezeigten Leichtigkeit im Ausdruck ist kein geradliniger. Spiel als Arbeit ist Arbeit. Man ahnt sehr wohl den Aufwand des filigranen Schnitthandwerks, aber das Ausstellen von Schweiß ist Matthias Lahmes Sache nicht. Er räumt den Platz zugunsten einer nonchalanten, romantischen Schwärmerei.

(Andreas Reihse, September 2019 für Italic)

 


Robag Wruhme — Nata Alma/ Venq Tolep EP

Robag Wruhme, working on the material. On the very same piece. And performing two different movements. First, thinking in category Album: who will hear it where? also: mood, position, length. Second, thinking in category Maxisingle: a spinning—tool for the club — another form of another functionality: accelerating the rhythm, lowering the harmonic—melodious, still preserving the nature of the song. And each version should make you HOT for the other!

Nata Alma, a voice loses itself in the infinite, a car brakes, a horse whinnies, the sun scorches relentless. Further, further on, towards the flickering, stoically. Water, flames on the horizon, Fata Morgana, a mirage. «And you might say, we've got no place to go?» — okay? no notokay at all!: Shuffle!

Nata Alma, melancholic Eight—minute—forty. A love song, a wave good—bye: «And you might say, that you need me no more?» sings Sidsel Endresen alongside Bugge Wesseltoft's swells and ebb—aways — metal never sounded so longing; a buzzing swing, a siren call from afar.

Robag Wruhme takes a seat at the organ and plays minor bass notes. He gets up, leaves the room and lays down a dry rock of funk: wooden kick on wooden snare, tight—cut voices, driving hi—hats and shakers, gated synth danglers and percussion loops. Relentless, stoically. «And you might say, that it's over?» — relentless, maybe, but that's how he creates the Further: keep going! dance it off! a new day rising!

And right here. Flip it and keep on moving: Venq Tolep. A summer meadow, grass—stains, a gentle breeze, an early smell of hay. Venq Tolep. Endorphins tickle under the skin. A percussive spectacle, dance of the insects. Hopping around in flat shoes, the beat is phat and reverberated by a cluster of trees. Stabs on the e—piano set in, picturing the euphoric moment when Loving—feelings walk hand—in—hand with a Hint of Melancholy.

Robag Wruhme, Nata Alma and Venq Tolep — music for dance floors, inside and outside, music for the summer, day and night, and for convertibles on the way there.

(Andreas Reihse, Juni 2019 for Pampa)

 


Dave DK — Chicama EP

Jelly Legs | El Point | Chicama

A crackling fire is burning under the bridge.
BANG! the brow hits against the steel drum, Hey!
I only bowed down! BOING! The elbow jabs into the door of an abandoned ragtop, To lash the laces! CRACK! the knee strikes the rusty trash can, Of my brand new black sneakers!

RASP! YAWP! SCREEECH! The gang rabbles on the dancefloor. Metallic sounds blaze out of the speakers. A rustle, a chatter, a rattle, a flapper. Cops troop in gazing in wonder while converting into liquid coppers. A warm kicking bass sets in. A voice from down below. Though, right next to your ear. The floor is demanding a sacrifice.
Jog your head, swing your hip. Wave your hands, and shake a leg: Tighten up, and then let go, for this Dance aboulic!

Producer and DJ Dave DK with his new »Chicama« EP on Pampa (Pampa 034). Three kicking, bumping tracks for all day and all of the night. Euphoric percussive floorkillers with a hint towards an alluring gloominess.

(Andreas Reihse, May 2019 for Pampa)

 


Harmonious Thelonious — International Dance Record 2

Stefan Schwander aka Harmonious Thelonious präsentiert mit International Dance Record 2 vier Erweiterungen von International Dance Record (ITA108). Zwei neue Stücke, Verdichtungen des 2016er Albums, das hüftkreisende Blinky — den Titel mag man als Hommage an den Künstler Blinky Palermo lesen — und das pumpende Shark Dance. Walkmen zu laut eingestellt, Ghettoblaster zu leise, Übersprechungen im Bazar, sonnenverblasste Tücher im mediterranen Wind.
Tolouse Low Trax Rivera Remix treibt ein heiseres Kratzen vor sich her, unerbittlich im Rhythmus weitermarschierend, in die Ferne, Festung aus Sand, ein sehnsüchtiges Horn ruft und verspricht Trost. Wolf Müllers RFS (Vol. 3) Remix geht keine Umwege, bricht direkt in die Aludosenfabrik ein und schreddert, was er finden kann. In aller Liebe natürlich.
Ein viermaliges Klappern und Scheppern, die Lautsprecher übersteuern, der Groove ist schmutzig. Tänzer*Innen reiben sich aneinander und an den Wänden. Die Discomaschine ist Mensch.

Mit Cover von Hendrik Krawen.

Stefan Schwander aka Harmonious Thelonious presents with International Dance Record 2 four expansions of International Dance Record (ITA108). Two new tunes, condensations of the 2016 album: the waist—deep sway Blinky — the title may be read as a tribute to the artist Blinky Palermo — and the pumping Shark Dance. Walkmen set too loud, ghetto—blaster too quiet, crosstalks in the bazaar, sun—bleached fabrics shimming in the Mediterranean wind.
Tolouse Low Trax's Rivera Remix drags on a hoarse scratch, relentlessly spurring on in the rhythm of approach, into the distance, a sand fortress, where a yearning horn is calling, promising comfort. Wolf Mueller's remix of RFS (Vol. 3) does not detour, and takes no prisoners. Breaking straight into the aluminum can factory and shreds what he can find. Love actually, of course.
A four—fold rattling and clanking, overdriven speakers, the groove is dirty. Dancers rub against each other and on the walls. The disco machine is a human.

With cover art by Hendrik Krawen.

(Andreas Reihse, April 2019 for italic)

 


Takeshi Makishima — Remain in Light (A)

15 Juni 2019 — 20 Juli 2019 | Eröffnung, 14 Juni 2019, 19 — 22 Uhr


Takeshi Makishima — Remain in Light (B)

27 Juli 2019 — 31 August 2019 | Eröffnung, 26 Juli 2019, 19 — 22 Uhr | ITALIC, Leipziger Str 61, 10117 Berlin Germany

 
Figurengruppen, zu mehreren herumstehen oder Etwas tun,
Beschäftigt sein,
Oder auch allein,

Figurengruppe, mal ist
Man sich selbst genug, oder auch nur Ein Gesicht,
Eine einzelne Träne
Kullert. Verflüssigungen.

Takeshi Makishima ist ein in Düsseldorf lebender Künstler.

Bei italic wird er unter dem Titel »Remain in Light« neue Arbeiten zeigen. Makishima hat die Ausstellung so konzipiert, dass sie in zwei aufeinanderfolgen Abschnitten gezeigt werden wird. Seine Bilder sind See—Stücke, malerische Auseinandersetzungen mit dem Meer, seinen Bewohnern, seinen Benutzern und unseren Träumen und Phantasien vom Ozean.

* * * * *
Takeshi Makishimas bevorzugten Techniken sind Zeichnerei und Malerei.

Er zeigt ein gewisses Interesse an Skulptur, wenn er in seinen malerischen Arbeiten mit Mischtechniken die Zweidimensionalität verlässt oder seine Rahmen und Leinwände in andere als rechteckige Formen schneidet, um den gewünschten Ausdruck des Bildes zu erreichen.

In der Zeichnung arbeitet er schnell. Makishima nutzt dabei unterschiedliche Mittel wie Aquarellfarbe, Tinte, Guache, Pastell oder Graphit und arbeitet auf Papier.
Wo das Bild abstrakt zu sein scheint, ist es der gestischen Übertragung eines genauen Beobachtens geschuldet, Spontaneität wird zu einem Erinnerungsmoment. Bei aller Geschwindigkeit formen sich seine Zeichnungen denoch zu ausgeklügelten Kompositionen. Sie stehen für sich; und wenn in seiner elaborierten Ölmalerei sich ein Motive wiederfindet, so ist die Zeichnung weniger Skizze als vielmehr Fussnote oder Ergänzung.

In der Malerei bearbeitet Makishima die große Fläche. Er strukturiert sie mit Pinselstrichen, in Anmutungen von Waldböden, Holz, Wellen oder imaginierten Unterwasserlandschaften. Er wirft einen Menschen hinein, setzt ein Tier, ein Möbelstück dazu. Er nutzt eine abgestimmte Form— und Farbpalette; mit Schatten und Schattierungen arbeitet er, wo seine Erzählung sie benötigt.

Er spielt mit Perspektiven: wenn er ein Detail zeigen will, dann widmet er sich ihm ganz, zoomt hinein, holt es nach vorne direkt unter die Bildoberfläche, bearbeitet es sorgfältig; geht es ihm um den Raum, so ist es der Blick von Oben, schräge Auf— und Übersichten, hochgeklappte Zimmer und Wiesen, wie man sie auch aus der Malerei Pirosmanis kennt.

Überhaupt kann man in Makishimas Arbeit die Auseinandersetzung mit Bildfindungen der klassische Moderne lesen: er setzt an Ideen von beispielsweise Matisse oder Gaugin an, und wiederum ihrem Zugriff auf Kunsthandwerk, Bauernmalerei, Ikonenbildern, aussereuropäischen Kunstformen, und der sozialen oder sozialistischen Idee einer volkstümlichen internationalen Sprache. Und darin kann man ihm auch ein Verwandtschaft zu Milan Kunz oder Jan Knap attestieren.

Die Sujets sind Abbilder einer figurativen Realität, die Makishima so abstrahiert, dass sie eine universelle Lesbarkeit erhalten. Die menschlichen Figuren sind nicht Staffage, aber auch keine Individuen, vielmehr Stellvertreter für uns alle. Beigaben in ihren Händen, hier eine Angel, hier eine Kuchengabel, ein Pinsel, eine Blumenvase. Attribute als Marker im Plakat, Anker in der großen Fläche. Sie tragen sie in diesem Augenblick mit sich für diese eine Bildlogik. Und legen sie im nächsten Moment ab. Sie sind frei. Eine Versammlung von Freunden — sich finden, zusammenarbeiten, sich lösen und wieder neu bilden. Und sich selbst nicht genug sein.

Narration ist ein wichtiges Element in Takeshi Makishimas Malerei. Es gibt kein Richtig oder Falsch in seiner Grammatik. Seine Bilder sind Emblemata—haft. Die Titel mag man als Angebote lesen, einzusteigen. Geheimnisvolle Spiegel—Bilder, die Möglichkeitsräume öffnen. Die einem die Möglichkeit eröffnen, sie in die eigene Geschichte einzubauen, eigene Lösungen zu finden, und sie weiter zu erzählen.

(Andreas Reihse, Juni 2019 für Italic)

 


Robag Wruhme — Venq Tolep

Gelandet, auf der Klippe, ausgestiegen; ein erster freundlicher Blick über
den Grünen Planeten. Was es ist, und was es verbirgt, scheint dasselbe zu sein.
Detail und Ganzes ununterscheidbar, und untrennbar verbunden.
Ein behutsames Befragen scheint angebracht.

Schon auf den ersten Veröffentlichungen von Robag Wruhme auf Freude am Tanzen kann man ihn finden, diesen leichtfüssigen Rhythmus: Wie ein Huckleberry Finn, auf einem Bein durch die Welt hüpfend — ein einheimischer Alien, ein vertrauter Fremder. Ein Kosmonaut, schwerelos elliptisch von Kapsel zu Kapsel gleitend.

Mit spielerische Leichtigkeit nimmt Wruhme synthetische Klänge und gesampelte Geräusche, schneidet sie zurecht und baut daraus Beats, ohne dass seine Musik je gebastelt klingt: jeder einzelne perkussive Sound eine kleine Einheit, die vor Melodiösität berstet. Oder diese zumindest andeutet.

Für «Venq Tolep», seine erste Albumveröffentlichung seit 8 Jahren, hat Robag Wruhme sich genau da hinein vertieft und den Raum dieser Teile weit aufgezogen. Er findet Beats in den Beats, öffnet diese weiter, entdeckt Hooklines und Harmonien, und spürt, wo er schliesslich gänzlich auf Rhythmen verzichten kann.

«Venq Tolep» beginnt mit zwei melodiösen, melancholischen Stücken: Advent lässt uns tanzen, bei Westfal liegen wir im Gras, sirrende Hitze, säuselnder Wind, wünschen, dass der Sommer niemals endet. Wir lauschen der Stimme von Lysann Zander, mit der Wruhme u.a. auch schon auf «Thora Vukk» zusammengearbeitet hat — nicht der einzige vertraute Name auf diesem Album: Sidsel Endresen und Bugge Wesseltoft hatte Wruhme auf seinem Bootleg—Label veröffentlicht — worüber ich schweigen würde, aber wir sprechen von Zeiten, als das Mainstream—KünstlerInnen ClubmusikerInnen alles andere als übel nahmen. Hier werden sie auf Nata Alma gefeatured, einem Laidback—Clubtrack.
Iklahx und Ak—Do 5 sind von unbeschwerter Perkussivität; wo Komalh und Ago Lades unterstreichen, wenn Wruhme von Techno spricht, dann meint er eine Clubmusik, die näher ist an Londoner 2Step Eleganz, vielleicht sogar genährt von R&B/HipHop und Swingbeat, weit weg von Belgo—Teutonischem Bunkersound. Bėzique Atout ist ein Umschreiben von Domino, einem Track des französischen Produzenten Oxia, den Wruhme 2017 geremixt hatte, ein stilvolles Sichzueigen—Machen.
Zwei weitere Bekannte sind Volta Copy, eine Version seines 2015er Hits Volta Cobby — entbeatet aber von Arpeggios angetrieben — und Ende #2 — empfangene Grußbotschaften: Around the World in a Day, die Fortschreibung von Ende von «Thora Vukk».

Schließlich das Titelstück, Venq Tolep, das noch einmal alle Bewegungen des Albums in 4 Minuten 18 nachzieht: die leicht nachdenkliche Stimmung, der verhuscht vorantreibende Rhythmus im mittleren BPM—Bereich, die ambient—artigen Layer aus synthetischen Streichersounds, die perkussiven E—Piano Melodielinien.

Die ersten Stücke des Albums sind vor sieben Jahren entstanden, das letzte 2019. Das kann man wissen, muss man aber nicht hören. «Venq Tolep» klingt rund. Ein Bogen spannt sich. Und natürlich ist es das Robag Wruhme Universum. Wärme statt Coolness und Freundlichkeit statt Härte. Aber mit «Venq Tolep» formuliert Robag Wruhme noch etwas Anderes: das Album spricht die Sprache von Clubmusik — Klanggestaltung, Layering, Arrangement sind vertraut. aber «Venq Tolep» wagt auch die größtmögliche Annäherung von Track an Song: Techno Pop? Pop Techno? Pop Ambient? Ambient Pop? — Ach was, ganz einfach: «Venq Tolep» ist Robag Wruhmes Einschreibung in Pop Musik.

(Andreas Reihse, März 2019 für Pampa)

 


Isabella Fürnkäs — The Loop

1 Dezember 2018 — 9 Februar 2019 | Eröffnung, 1 Dezember 2018, 18— 21 Uhr | ITALIC, Leipziger Str 61, 10117 Berlin Germany
 

Und dann stehst du da.
Deine Hände voll von Komplimenten
Zum verschwenden.
Sie machen mich grau.
Und dann liegst du da.
All dein Durst rinnt sanft
Aus goldenen Tränen
Und du räumst mich
Auf oder nur um.
Vielleicht
hab ich langsam geträumt
Und hab's vergessen,
Bin stehen geblieben
Wie, wenn man seine Brille sucht
Oder einen abgelegten Nagel.
Ich hab Stimmen gehört
Und ich fürchte es waren deine.
Sie lockten mich rauf
Und ich kroch
Mit dem Ausatmen eines Falters
Und legte mich ab
Auf deinen fleckigen Teppich.
Und träumte
Nie wieder zu fallen.
Und in einem letzten Verzehren
Nach deinen leeren Händen
Gelang es mir meine eigenen Lippen
Zu küssen
Als würde es
Etwas bedeuten

Jil Blume

The Loop. Die Schleife. Im Haar, im Herzen, ein Knoten. Loops. Schleifen beschreiben Kreise, Kettenglieder um den Hals, verfangen im Raum. Figuretten, angstfrei, drehen Pirouetten, schlagen Räder und Loopings, und ausweglos ist nichts, der Weg führt einfach nur reihum. Im Zirkel gelassen begegnet man sich wieder. Und wieder. Und wieder. Wir brauchen weder Spiegel, noch Tor, noch Tür, noch Fenster, um uns zu verändern, zu entwickeln. Ein Parcours, eine Rennbahn, nennen wir Unseres. Im Kreis Vorangehen, überholen, Zurückfallen. überholen lassen, Nebeneinander hergehen, Geradeaus blicken. Einander zuwenden, anblicken. Deine Zeit, die Du verbringst, ist nicht verloren, noch verbraucht, was schert mich das Lineare, im Kreis kommt wieder, bleibt treu im ständigen Verändern, so wie Du.

Isabella Fürnkäs ist eine in Düsseldorf und Berlin lebende Künstlerin. Sie arbeitet mit den unterschiedlichsten Medien und Materialien; Zeichnung oder eine Form der Malerei, die auf einer zeichnerischen Herangehensweise basiert, ist eigentlich immer dabei. Den Raum nimmt sie als Leinwand, wirft Dinge hinein, erweckt sie zum Leben: dem einzelnen Objekt gibt sie im Zusammensein und der Auseinandersetzung mit dem/den anderen eine Subjekthaftigkeit mit; die Dinge umspielen sich gegenseitig, versammeln sich, lösen sich wieder, laden sich auf, bringen den Whitecube zum Schwingen. Figurative Plastiken setzen sich in Malerei auf den Wänden fort, die Malerei setzt sich in Zeichnungen fort, die Zeichnung setzt sich in den Skulpturen fort, sie alle beschreiben kreisförmige Bewegungen.

Bei italic zeigt Fürnkäs eine Zusammenstellung zeichnerischer Arbeiten der letzten zehn Jahre. Kleinformatig, gerahmt hinter Plexiglas stehen sie zwei Mannequins/Puppen gegenüber. In Fürnkäs Werk trifft man regelmäßig auf menschenähnliche Figuren, prachtvoll drapiert in Farben und Mustern, genährt aus ihrer Auseinandersetzung mit japanischem Theater und Kunsthandwerk; mit der Anmutung aus Malerei erwachsen zu sein, bevölkern sie Räume und ergießen sich in einem schlaffen, schmelzenden Zustand bunt über den Boden, werden wieder zu Malerei. In ihrer Arbeit für italic hat sie die Farbigkeit zurückgenommen, sie spricht von »weiss« und »beige«. Die Plastiken sind fein ziseliert und mit edlen Stoffen ausstaffiert, die frühere verschwenderische Buntheit wird in einer nonchalanter Geste überstrahlt von einer neuen Eleganz, ihr Ausdruck ist etwas düsterer geworden. Wo sehnsüchtige Momente in ihrer Arbeit immer sichtbar waren, da scheinen nun auch Motive des Schmerzes auf. Die Puppen unterhalten sich — im gegenseitigen Anschweigen — mit Hilfe zweier Abspielgeräte vor der Kachelwand. Endlos.

Isabella Fürnkäs, in Düsseldorf und Berlin lebend. Zwei Städte von vielen, das ist weniger Unruhe, als Bewegung. Isabella Fürnkäs wurde in Tokyo geboren, lebte dort bis sie zu ihrem 19. Lebensjahr. Danach verbrachte sie in rascher Abfolge Zeit in Zürich, Wien, Köln, Düsseldorf, Berlin, Paris. An diesen Orten hat sie auch studiert. Sie ist eine Suchende, aber mehr noch ist sie eine Findende, eine Erfinderin, und gewiss eine Sammlerin. Sie besucht diese Städte immer wieder, pendelt, kreisförmige Bewegungen. The Loop. Dass das Teil ihrer Arbeitsweise und Teil ihrer Arbeiten ist, könnte man biografisch lesen. Oder aber die Biografie als Beschreibung einer Entscheidung, einer Idee von Leben, wie man es führen könnte, wie sie ihres führen will. Endlos. Im Loop. Im Kreis. Im Oval.

(Andreas Reihse, November 2018 für Italic)

 


Wanda is here

Und will man nicht, dass die eigene Arbeit so erscheint, genau so erscheint, wie man es will, zu den Bedingungen, den eigenen, in Produktion, Form, Inhalt, Distribution? In einem Umfeld, das man selbst gewählt hat? Und das Gesetzte aber offen hält, und dem Außen ausgesetzt?

Zweitausendundsechzehn eröffnete Dalia Neis das Label Wanda mit der Veröffentlichung »Wanda is not here«, einer Zusammenstellung von Lieblingsmusiken — von Freund*Innen und ihrer eigenen — auf Kassette. Neunzig Minuten durchstreifen Räume — ein Hörspiel, eine Radiosendung, ein Programm: Freie Musik, Chanson, Farside Folk, Pop Shakespeareanischen Ausmaßes, Soundtracks ohne Bild, Spokenword Poetry. Pamphlete, die Film, Literatur und Tonwelten durcheinanderwirbeln. Und Musikkassette sollte es sein. Nicht ausschließlich: im selben Jahr kam ein limitiertes Vinyl dazu, 2017 eine limitierte CD—R, und natürlich ist alles als Download verfügbar.

Wanda nennt sie ihr Label, Dalia Neis, Künstlerin, Filmschaffende, Musikerin, Autorin; Doktorin seit diesem Sommer mit einer Arbeit über die Repräsentation von Wind im Film.

Wanda, nach Barbara Lodens Cinema—verité—nahem Regiedebüt, ihr einziger Langfilm. Sie schrieb das Drehbuch, co—finanzierte ihn, schnitt ihn zuhause, und spielte die Titelrolle. In Wanda hatte Loden 1970 eine Idee von Kino ähnlich Cassavetes — unabhängig von der Industrie, mit kleinem Stab, Improvisation, natürliches Licht, Handkamera, Amateure / Liebhaber*innen, Negative space, Nähe, Dunkelheit und Stille, Smalltown crooks, Solitäre in ländliche Urbanität, Halbvermögen und Gewalttätigkeit, Sehnsucht nach Intimität. Und Einsamkeit. Könnte man umsetzen auf das Label Wanda. Oder es dabei belassen, dass Wanda wohl ein Lieblingsfilm von Dalia Neis sei.

Wanda ist ein geschützter Ort, ein Ort, an dem sich Musik und Wort von Freund*innen miteinander vergnügen, vereinen, lieben, auseinandersetzen, streiten. Wanda ist ein Lieblingsraum, eine blaue Notrufzelle, die im Zickzackkurs zwischen Salford und Berlin hin und her schwebt, grenzenlos. Und »Wanda is here.«

(wanda—portal.jimdo.com)

(Andreas Reihse, Oktober 2018 for Diaphanes)

 


Sleepers Poets Scientists

»Sleepers Poets Scientists« sammelt Ergebnisse von Studentinnen des CES Instituts Tbilisi, die Natalie Beridzes Klasse für Songwriting und Musikproduktion abgeschlossen haben.

Dreizehn Songs von neun Musikerinnen — Anuschka Chkheidze, Eto Gelashvili, Tampa Gvarliani, Ani Zakareishvili, Nazi Chavchavadze, Dea Bezhuashvili, Katie Eristavi, Natia sTia Sartania, eine der Gründerinnen des Instituts, und der Dozentin selbst: Natalie Beridze schliesst das Album programmatisch mit dem Titel »Girl Galaxy«. Riot und Power sind an diesem Ort längst Selbstverständlichkeiten, Galaxy heisst Durchströmung aller Lebensbereiche.

Wie in Beridzes eigenen Arbeiten — so auf Max Ernst, Laboratory Instinct oder Monika Enterprise, im Theater oder Film, als Mitglied des Künstlerkollektivs Goslab oder in Kollaboration mit Ryuichi Sakamoto, Thomas Brinkmann, Gudrun Gut oder Nikakoi — muss man auch hier über Schönheit sprechen: als Steigbügel, als Fragestellung, als Beginn eines Suchens, immer als Argument.

»Sleepers Poets Scientists« erzählt vom Ausprobieren, Sichausprobieren, Studieren, von Laborkitteln, weiß wie die Leinwand, bald besudelt, bespielt, bei niedriger Temperatur gewaschen, etwas Geschichte bleibt haften, für die, die sich vertiefen, kein Namen im Revers, getauscht, vertauscht, übernommen, weitergegeben, darauf Neues aufbauen.

Selbst im sehnsüchtigsten Moment in Moll, selbst wenn die Marschtrommel rollt und der Rhythmus das Gleichgewicht versagt, wenn sich die synthetischen Streicher beunruhigend schichten, selbst wenn die Bässe tief nach unten gehen, sind die Stücke durchweht von äther, von einer luftigen Schwerelosigkeit. Auf den leichtfüßigen Tanz folgt konkrete Poesie folgt eine Pophymne folgt eine Klavierpreziose folgt ein polyphoner Fall in den Orchestergraben folgt ein Krähenschwarm über abgeerntetem Feld.

»Sleepers Poets Scientists« erzählt von Freizügigkeit, Eleganz, Schönheit, von unbekümmerter Souveränität, von Zusammengehörigkeit und von Weite im Denken, »Sleepers Poets Scientists« inspiriert und reicht den weißen Kittel weiter.

Sleepers Poets Scientists 2LP, CES 001 (im Vertrieb von The Orchard, ab Januar 2019)

(Andreas Reihse, Oktober 2018 for Diaphanes)

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